Während hierzulande das zarte Pflänzchen einer Schulreform gegen lehrergewerkschaftliche Rasenmäher und parteipolitische Gülledüngung ums Überleben kämpft, werden anderorts neue Maßstäbe im Bildungswesen gesetzt. Aus Ungarn erreicht uns die Meldung, wonach die dortige Regierung die Errichtung von Schießplätzen an Schulen plane. Eine Maßnahme, die an die Platzierung einer Feuerwerkskörper-Manufaktur neben einer Erdölraffinerie erinnert und vermutlich von der pädagogischen Überlegung ausgeht, tendenziell chaotisch und planlos ablaufende Schulmassaker künftig im Rahmen eines Freifaches "Amoklauf für die Oberstufe" besser vorbereiten zu können.

Doch bevor man nun wieder einmal im Sinne von Kraus ausrufen möchte "Mir fällt zu Orbán nichts ein", sei an die mahnenden Worte von Sebastian Kurz erinnert, dem zum ungarischen Ministerpräsidenten doch etwas einfiel, nämlich: "Hören wir auf mit der Trennung in Gut und Böse."

Angesichts der Tatsache, dass unser Außenminister bei der Beurteilung Recep Tayyip Erdogans unmissverständlich Gut und Böse getrennt hat, ist diese Aussage geradezu paradox, zumal der einzige EU-Politiker, der Erdogan zu seinem Referendumserfolg gratuliert hat, ausgerechnet Orbán war. Wie geht sich das für Kurz aus? Und noch rätselhafter: Wie geht sich das für Orbán aus, der sich doch sonst stets als Retter des Abendlandes im Kampf gegen den Islam inszeniert?

Erhellend wirkt in diesem Zusammenhang ein Zitat Orbáns von 2015: "Ungarn sollte der Ort sein, wo man jedem mit Respekt begegnet. Besonders hoch sollte der Islam, die zivilisatorische Wurzel der Muslime, geschätzt werden. Würden unsere Banker die Vorschriften der Scharia kennen, wären wir schon viel weiter." Dass diese Worte in einer Rede vor reichen arabischen Geschäftsleuten gefallen sind, lässt darauf schließen, dass der ungarische Premier aus ökonomischen Motiven zu maximaler ideologischer Flexibilität gegenüber dem Islam fähig ist. Die darin sich zeigende Überwindung der Lebensprinzipien "Rückgrat" oder "Charakter" zugunsten von "Abstauben" verbindet ihn wiederum mit Erdogan.

Der ließ sich, wie der Spiegel unlängst berichtete, von Mubariz Mansimov, einem türkischen Milliardär aserbaidschanischer Herkunft, seit 2008 mit über 20 Millionen Euro schmieren. Ein Deal, bei dem Erdogan auch an seine Familie gedacht hat: Schwager Ilgen, Bruder Mustafa und Sohn Burak durften mitkassieren. Der zweite Sohn Bilal sowie Schwiegersohn Berat waren bereits in frühere Korruptionsskandale verwickelt. Diese Form von Familiensinn ist eine weitere Parallele zu Orbán. In keinem anderen EU-Land werden so viele EU-Fördergelder missbraucht wie in Ungarn. Zu den Profiteuren gehören an vorderster Front Orbáns Vater, beide Brüder sowie sein Schwiegersohn. Erdogan und Orbán verbindet also auch eine spezielle Interpretation des Begriffs "Familienbande".

Seit voriger Woche schreibt Orbán nicht seiner Familie, sondern NGOs vor, sich als "aus dem Ausland finanziert" zu deklarieren. Bleibt also zu hoffen, dass Kurz mit seiner Aussage nur den Befund "Jenseits von Gut und Böse" umschreiben wollte. (Florian Scheuba, 21.6.2017)