Frauenrechtlerin Seyran Ates (54) in ihrer Ibn-Rushd-Goethe-Moschee im Berliner Stadtteil Moabit.

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Seyran Ateş schnauft ein wenig, als sie ihre "Moschee" betritt. Es ist heiß in Berlin, und um in den hellen Gebetsraum mit den hohen Fenstern zu kommen, muss man zuerst einmal drei Etagen hinaufsteigen. Aber das ist alles auszuhalten. "Meine Mama hat Herzrasen. Sie fragt mich: Kannst du nicht was anderes machen?", sprudelt es aus ihr heraus.

Doch für die 54-jährige Anwältin und Frauenrechtlerin aus Berlin gibt es jetzt keinen Weg mehr zurück. "Ich habe gebetet, dass es andere machen", sagt sie. Aber es fand sich niemand. Und so hat die in Istanbul Geborene, die im Alter von sechs Jahren nach Berlin kam, entschieden, die erste liberale Moschee in Berlin zu gründen.

Unterschlupf in der Johanniskirche

Sehr vieles an dem Projekt ist ungewöhnlich. Es beginnt schon bei den Räumlichkeiten. Ateş und ihre Mitstreiter sind im Stadtteil Moabit in unmittelbarer Nähe der "berühmten" U-Haft in den Räumen der evangelischen Johanniskirche untergekommen. Die Johanniskirche kennen auch Religionsferne, es gibt dort einen schönen Sommergarten, wo gegrillt wird, er ist für alle offen.

Ein ehemaliger Theatersaal war noch frei, und den hat jetzt Ateş bekommen. Auf dem steinernen Fußboden im Treppenhaus kleben graue Pfeile, die zur neu eröffneten Ibn-Rushd-Goethe-Moschee weisen. Neben dem Namen von Johann Wolfgang Goethe trägt die Mosche jenen des mittelalterlichen Arztes, Philosophen und Richters Ibn Rushd. Dieser wurde 1126 im andalusischen Córdoba geboren, verfasste auch Kommentare zum Werk von Aristoteles und gilt als Verbinder zwischen Islam und Aufklärung.

Kein Nikab, keine Burka

Die grauen Pfeile wirken provisorisch, und so soll es auch sein. Irgendwann möchte Ateş, die sich gerade zur Imamin ausbilden lässt, hier wieder raus und ein eigenes Gebäude für ihre Moschee. Aber bis dahin ist noch ein Stück Weg zu gehen. Im Moment muss sie erst einmal den Shitstorm aushalten, der ihr aus aller Welt entgegenschlägt. Dass Frauen predigen dürfen, Frauen und Männer gemeinsam beten, dass Homosexuelle willkommen sind, auch Frauen mit Kopftuch, nicht aber jene mit Burka und Nikab, sorgt für viele Anfeindungen.

Ateş, die von 2006 bis 2009 Mitglied der Deutschen Islamkonferenz war, bekam wegen dieser "Gotteslästerung" übelste Beschimpfungen und Morddrohungen. "Die Alte macht grade ihr Testament", heißt es da. Oder dass man in der Moschee "doch nicht der Frau auf den Arsch schauen" könne beim Beten.

An den Grundsätzen rütteln

Ateş nimmt die Drohungen nicht auf die leichte Schulter. 1984 arbeitete sie in Berlin-Kreuzberg in einer Beratungsstelle für kurdische und türkische Frauen, die Schutz vor häuslicher Gewalt suchten. Eine ihrer Klientinnen wurde vom Ehemann erschossen, Ateş dabei schwer verletzt.

"Ich weiß, dass wir an Grundsätzen rütteln", sagt sie. Und dennoch: "Ich will einen Ort, an dem Frauen und Männer gemeinsam und friedlich an ihrer Religion arbeiten. Zu viele Moscheen predigen einen Islam von vorgestern. Und wir dürfen den Islam nicht den Fanatikern überlassen."

Sie erhält natürlich nicht nur Drohungen, sondern auch viel Zuspruch – ebenfalls aus aller Welt. In Berlin, weiß sie, würden gern noch mehr kommen. Aber: "Die haben eine Scheißangst und trauen sich nicht." Ateş selbst hat sich für all jene, die sie jetzt angreifen, nur eine Gegenfrage überlegt: "Sagt mir, was tut ihr eigentlich für den Islam?" (Birgit Baumann aus Berlin, 21.6.2017)