Genf/Wien – Noch nie waren weltweit mehr Menschen gleichzeitig auf der Flucht. Damit setzte sich der steigende Trend der vergangenen Jahre auch im Jahr 2016 fort. Insgesamt 65,6 Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen, wie aus dem Global Trends Report des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR vom Montag hervorgeht. Unter anderem sind 22,5 Millionen Flüchtlinge – also Menschen, die aus ihrem Heimatland geflohen sind – für die hohe Gesamtzahl verantwortlich.

Die meisten Flüchtlinge – rund 5,5 Millionen Menschen – kommen noch immer aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Mit 6,3 Millionen Binnenvertriebenen, also Menschen, die innerhalb des Landes auf der Flucht sind, und 185.000 Asylsuchenden, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sind, ist Syrien auch der einzige Staat, in dem die Mehrheit der Bevölkerung von Flucht betroffen ist.

Grafik: Standard

Gewalt im Südsudan

Als im Juli 2016 in der Hauptstadt des jüngsten Staats der Erde, dem Südsudan, wieder die Waffen sprachen, wurde die am schnellsten eskalierende Flüchtlingskrise der Welt losgetreten. Bis zum Jahresende flohen rund 740.000 Menschen aus dem Land, was 85 Prozent mehr Personen als 2015 entspricht. Bis zum heutigen Tag sind es knapp 1,9 Millionen Menschen, die vor allem in das Nachbarland Uganda flohen. Der zentralafrikanische Staat beherbergte mit Jahresende fast eine Million Flüchtlinge.

Bereits zum dritten Mal in Folge steht die Türkei mit 2,9 Millionen Menschen an der Spitze der Länder, die die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben. Daran hat auch der umstrittene EU-Türkei-Deal nichts geändert, der im Vorjahr in Kraft getreten ist. Die klare Mehrheit der Flüchtlinge – nämlich 84 Prozent – befindet sich in Staaten mit niedrigen oder mittleren Einkommen. Jeder dritte Mensch fand Zuflucht in einem der am wenigsten entwickelten Länder weltweit.

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Die Gewalt im Südsudan hat bis dato 1,9 Millionen Menschen außer Landes getrieben. Vor allem nach Uganda.
Foto: Reuters/James Akena

7,7 Millionen Binnenvertriebene in Kolumbien

Den Großteil der geflohenen Menschen weltweit machen Binnenvertriebene aus. Insgesamt 40,3 Millionen Menschen waren es im Vorjahr und damit etwas weniger als 2015, wobei Kolumbien mit 7,7 Millionen den größten Anteil an dieser Zahl hat.

Rund eine halbe Million Flüchtlinge und etwa 6,5 Binnenvertriebene sind im Vorjahr in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Was aber nicht automatisch bedeutet, dass sie in sichere Umgebungen zurückgekehrt sind. So kamen auch irakische Binnenvertriebene nach Ostmossul zurück, obwohl im Westen weiterhin gekämpft wurde. Insgesamt waren im Irak 2016 rund 3,6 Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieben – von 4,2 Millionen Irakern, die sich auf der Flucht befunden haben.

Kleine Hoffnung im Irak

"Wir sehen ein kleines Flackern der Hoffnung am Ende des Tunnels", sagte Bruno Geddo, der Leiter des UNHCR-Büros im Irak, dem STANDARD. "Auch wenn der Tunnel noch sehr lang ist." Vor allem die aktuell rund 100.000 eingeschlossenen Zivilisten in der Altstadt von Mossul, die als menschliche Schutzschilde der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) verwendet werden, bereiten ihm Sorge: "Sie sind von jeder Versorgung abgeschnitten. Es fehlt an Nahrung, Wasser und Treibstoff", sagte Geddo.

Die Zurückeroberung Mossuls durch die irakischen Streitkräfte ist für Geddo "notwendig, aber nicht ausreichend". Es müsse sichergestellt werden, dass die Zivilisten geschützt werden und sofort humanitäre Hilfe geleistet wird. "Man muss gleich darauf gegen die toxischen Botschaften der Terroristen vorgehen und den Menschen klarmachen, dass es die Chance auf eine gute Zukunft des Iraks gibt", sagte Geddo.

Gleichzeitig sei ihm aber auch bewusst, dass die Krise im Staat "außergewöhnlich komplex" ist. Doch ihre Lösung ist laut dem UNHCR-Leiter nicht weniger als essenziell für die Zukunft der Welt: "Je nachdem, ob die internationale Gemeinschaft im Irak für Ordnung sorgen kann, wird das eine positive oder negative Auswirkung auf die gesamte Welt haben. Dort entscheidet sich der Kampf gegen den IS." (Bianca Blei, 19.6.2017)