Willkommensfeier für neue österreichische Staatsbürger im Wiener Rathaus: Wenn überhaupt, muss sich das Amt fragen, was im Falle illegaler doppelter Staatsbürgerschaften falsch gelaufen ist.

Foto: Robert Newald

Als Herr I. im Jahr 1990 Österreicher werden wollte, marschierte er frohgemut auf die türkische Botschaft in Wien, angetan mit all seinen Dokumenten, und gab seinen türkischen Pass zurück. Der Botschaftsbeamte kopierte alles, gab die Papiere brav zurück und grinste fett: "Egal, was Sie jetzt tun, Herr I., für uns bleiben Sie immer Türke." Erst als er mit dem Mann eine lange Debatte begonnen und darauf bestanden habe, nicht mehr zur Türkei gehören zu wollen, habe der unter Augenrollen und Kopfschütteln eine Liste hervorgezaubert, in die er ihn eingetragen und gesagt habe: "Dann eben nicht."

Heute, sagt Herr I., sei er ganz sicher: "Alle, die das nicht getan haben, werden einfach weiter als Türken geführt." Diese Angst haben jedenfalls viele in der türkischstämmigen Community in Österreich. Seit es, im Zuge der türkischen Volksabstimmung um noch mehr Rechte für Präsident Tayyip Erdoğan, zur aufgeheizten Debatte über mögliche Doppelstaatsbürgerschaften kam, können viele nicht mehr ruhig schlafen. Erdoğan und seine Anhänger provozierten mit ständigen Versuchen, ihren Wahlkampf in die EU-Länder zu exportieren, hiesige Anhänger nahmen den Ball oft allzu bereit auf. Die Debatte, warum Austrotürken überhaupt an einem türkischen Referendum teilnehmen dürfen, folgte auf den Fuß.

Behörde in der Pflicht

Der Grünen-Abgeordnete Peter Pilz behauptet, eine Namensliste mit illegalen Doppelstaatsbürgerschaften zu besitzen, gibt sie aber nicht heraus, weil er erst prüfen lassen will, ob es Amnestieregelungen für jene geben kann, die unverschuldet auf türkischen Wahllisten landeten.

Das klingt nobel, ist aber andererseits erstaunlich. Denn wenn das Zurücklegen der türkischen Staatsbürgerschaft bei allen Betroffenen so erfolgte wie von Herrn I. geschildert, gibt es dafür gar keinen Grund. Herr I. erhielt nämlich im Jahr 1990 eine Bestätigung der türkischen Botschaft, dass er ab sofort nicht länger Türke sei. Erst als er dieses Dokument vorlegte, konnte er überhaupt die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen. Er war dann drei Monate staatenlos. Die Beamten der Stadt Wien kamen erst in Gang, als sie alle Unterlagen I.s, auch die Botschafts-Bestätigung, beisammen hatten.

Gleiche Abläufe

Geht man davon aus, dass im Rechtsstaat Österreich wichtige bürokratische Abläufe wie eine Einbürgerung in allen Bundesländern gleich ablaufen, haben die Extürkinnen und Extürken rein gar nichts falsch gemacht. Sie haben das getan, was der österreichische Staat von ihnen verlangte, um Österreicher werden zu dürfen. Sie können und sie müssen auch nicht wissen, wenn die Türkei ihren Austritt insgeheim ignoriert hat.

Daher, sollte man meinen, kann ihnen auch nichts passieren. Wenn überhaupt, sind die österreichischen Ämter in der Pflicht. Haben sie gründlich genug nachgeprüft? Konnten sie das überhaupt? Wie die Türkei agiert, ist eine Frage des Völkerrechts – und nicht der individuellen Bestrafung, etwa durch Verlust der Staatsbürgerschaft. Insofern sollte auch eine Amnestie nicht nötig sein.

Aufgeheizte Stimmung

Dass man, statt den schwierigen Weg zu gehen und sich auf internationaler Ebene mit der Türkei auseinanderzusetzen, lieber den eigenen Staatsbürgern droht, passt in eine Zeit, in der lieber mit griffigen Slogans statt mit komplizierten Erklärungen Politik gemacht wird. Die Stimmung zwischen "Türken" und "Österreichern" ist aufgeheizt, das nützen bestimmte Politiker weidlich aus – und das wird im anlaufenden Wahlkampf nicht weniger werden.

Dass man damit auch die Mehrheit derjenigen trifft, die weder mit Erdoğan noch mit staatsfeindlichen Tendenzen etwas am Hut haben, wird großzügig als Kollateralschaden hingenommen. FPÖ und ÖVP spielen auf diesem Klavier mittlerweile gleichermaßen virtuos. In dieses Klima passt auch, dass die SPÖ in ihrem "Wertekompass" das Thema "Ausländerfeindlichkeit" gar nicht mehr als Ausschließungsgrund erwähnt.

Übrig bleiben viele, vor allem ältere, Menschen, die sich plötzlich wieder fürchten: vor dem türkischen Staat genauso wie vor dem österreichischen. (17.6.2017, Petra Stuiber)