Last Exit Westminster: Der Ball liegt bei den Briten.

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Der Chefverhandler der EU-Kommission, Michel Barnier, gilt als sehr sachlicher, zu trockenem Humor neigender Mann. "Fast ein wenig britisch" , befand ein Follower auf Twitter über den Franzosen nach der Ankündigung, dass die Verhandlungen mit der britischen Regierung beginnen werden – auch wenn Premierministerin Theresa May es nach der Wahlniederlage bis Freitagmittag nicht einmal geschafft hatte, eine Koalitionseinigung mit den künftigen Partnern von der Demokratischen Union (DUP) in Nordirland unter Dach und Fach zu bringen.

"Michel Barnier, Chefverhandler der EU-Kommission, und David Davies, der zuständige Minister für den Austritt aus der Europäischen Union, kamen heute überein, die Verhandlungen gemäß Artikel 50 am Montag, den 19. Juni, zu starten." Punkt. So hieß es lapidar in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Seiten, auf die vor allem die EU gedrängt hatte.

Fast genau ein Jahr nach dem britischen Referendum über den Brexit sieht Barnier die Union inhaltlich bestens vorbereitet, ausgestattet mit einem Mandat der Staats- und Regierungschefs, das vor allem die Wahrung der Rechte von drei Millionen EU-Bürgern in Großbritannien als Priorität nennt.

"Sensibler Brexit"

Aber London ist durch ständige Winkelzüge wie zuletzt das Vorziehen der Wahlen Anfang Juni in Verzug. Ob man über einen "harten Schnitt" – den radikalen Ausstieg aus dem Binnenmarkt – verhandelt, wie die Regierungschefin bis vor kurzem erklärte, oder doch nur über einen "sensiblen Brexit", wie die DUP betont – also den Erhalt vieler bisheriger Vereinbarungen -, das ist völlig offen.

Fix ist, dass die Zeit drängt. Laut Artikel 50 des EU-Vertrags muss der Austritt binnen zweier Jahre vollzogen werden, notfalls ohne Vereinbarung. Es sei denn, die EU-Regierungschefs bestimmen eine Fristverlängerung. Das geht nur einstimmig – schwierig. Da im Mai 2019 Europawahlen stattfinden, ein neues EU-Parlament und in der Folge eine neue Kommission antritt, bleibt wenig Spielraum.

Der Verhandlungsstart hat also nicht nur symbolische Bedeutung, sondern eine ganz praktische Seite. Austrittsgespräche sind wie Beitrittsverhandlungen eine äußerst komplexe Sache. Zehntausende Gesetze und Regeln sind durchzuackern, für tausende beteiligte Beamte und Experten eine Monsterarbeit. Man kann gar nicht früh genug beginnen.

Zunächst wird es um Zeitpläne und Abläufe gehen, nicht um Inhalte. Die EU will zeigen, dass sie resolut sein wird und London von Anfang an unter Druck setzen will. Über die echten Stolpersteine – Rechte der EU-Bürger in Großbritannien, finanzielle Verpflichtungen in Zukunft, ein neues Handelsabkommen – wird erst nächstes Jahr entschieden werden. Der Abschluss des Gesamtpakets wird für Herbst 2018 unter österreichischem EU-Vorsitz erwartet. Jetzt gibt es die Aufwärmrunde – und sie fühlt sich wegen der Turbulenzen in London wie ein Kaltstart an. (Thomas Mayer aus Brüssel, 18.6.2017)