Wien – Norbert S. hat in seinem Verfahren um versuchten sexuellen Missbrauch Minderjähriger gegenüber Richter Andreas Böhm kein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis. Nur ein Umstand scheint dem 48-Jährigen bei der Überprüfung seiner Daten wichtig zu sein: "Vor meiner ersten Verurteilung habe ich 27 Jahre gearbeitet!", betont er. "Auf die erste Verurteilung kommen wir noch", entgegnet der Richter.

Mehr als fünf Jahre Haft erhielt der deutsche Angeklagte im November 2011 in seiner Heimat. Der Grund: circa 50 Fälle sexuellen Missbrauchs an minderjährigen Burschen. Im März 2016 wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Mit der Auflage, keinen Kontakt zu Kindern mehr zu suchen.

Kontaktverbot zu Kindern

"Was wäre in Deutschland die Sanktion, wenn Sie es dennoch machen?", erkundigt sich Böhm. "Bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe." – "Und was führt Sie jetzt nach Österreich?" – "Ich möchte nichts mehr weiter sagen", macht S. von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch, nachdem er sich schuldig bekannt hat.

Böhm stützt sich also auf die Verlesung der Aussagen, die der Angeklagte bei der Polizei gemacht hat. Der spezialpräventive Aspekt des Kontaktverbots ging an S. vorbei. Er suchte ab dem Vorjahr via Facebook Bekanntschaft zu männlichen Kindern und Jugendlichen in Österreich. Gelernt hat er aus der ersten Strafe dennoch: Bei Videochats zeigte er nur seinen Körper, nie das Gesicht. "Damit man bei einer etwaigen Straftat nicht identifiziert werden kann", wie der Angeklagte bei der Polizei sagte.

Observation durch Polizei

Was er nicht wusste: Die deutsche Exekutive misstraute ihm. Und warnte ihre österreichischen Kollegen, als er im Februar mit dem Bus nach Wien fuhr. Hier traf er sich in einem Hotel mit einer seiner Internetbekanntschaften. Einem Vierzehneinhalbjährigen, an dem er Oralsex praktizieren wollte, wie er behauptet.

Nach seiner Festnahme versuchte sich S. gegenüber der Polizei offenbar als besonders höflichen und rücksichtsvollen Täter darzustellen. Bei Videochats habe er nie von sich aus sexuelle Handlungen vorgenommen, sondern gehofft, dass ihn die jungen Gegenüber dazu auffordern würden. Im Hotelzimmer habe er dem Opfer zunächst Gummibären angeboten und mit den Worten "Das könnte möglicherweise dir gehören" 350 Euro in eine Schublade gelegt.

Hände noch gewärmt

Wert legte er bei seiner polizeilichen Einvernahme auch darauf, den Teenager immer gefragt zu haben, ob er ihn berühren und ausziehen dürfe. Und er habe sich noch die Hände mit Warmwasser gewärmt. Als er zurück ins Schlafzimmer wollte, wo der Bursch lag, sei plötzlich die Polizei da gewesen.

Die Aussage eines Hotelmitarbeiters, der von den Kriminalbeamten zur Erkundung vorgeschickt worden war, lässt darauf schließen, dass S. vielleicht doch nicht der feinfühlige Kinderschänder ist, als der er sich darstellen möchte.

Das "Bitte nicht stören"-Schild hing an der Tür, von drinnen konnte der Zeuge hören, wie der Angeklagte auch davon sprach, das Opfer solle ihm Ohrfeigen geben. "Das macht mich geil", vernahm der Angestellte. Weiters: "Jetzt geh dir auch die Hände warm waschen, dann können wir loslegen, und du kannst es hinter dich bringen!"

Jugendlicher schon einmal Opfer

Verteidiger Philipp Winkler versucht in seinem Schlussplädoyer die Frage aufzuwerfen, ob der Vierzehneinhalbjährige derartiges nicht öfters mache. Schließlich habe er beim Eintreffen der Polizei versucht, sich unter dem Schreibtisch zu verstecken und bei der Einvernahme zunächst bewusst Richtung Vergewaltigung argumentiert. Außerdem sei der aus tristem Milieu stammende Bursch schon einmal als Opfer in einem ähnlich Missbrauchsverfahren geführt gewesen.

Richter Böhm lässt das nicht gelten. "Es kann dahingestellt bleiben, warum das Opfer mit dem Angeklagten in ein Hotelzimmer gegangen ist. Der Gesetzgeber will eben auch genau verhindern, dass sich Minderjährige aus Geldmangel prostituieren", erklärt er. Bei einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Haft entscheidet sich Böhm für 20 Monate unbedingt.

"Die deutsche Verurteilung hat auf Sie gar keinen Eindruck gemacht", stellt der Richter nüchtern fest. S. akzeptiert die Entscheidung, der Staatsanwalt gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 16.6.2017)