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Adenoviren lösen oft Infektionen im Verdauungstrakt aus – von dort aus breiten sie sich gern auf andere Organe aus.

Foto: LOUISE HUGHES / Science Photo Library / picturedesk.com

Krems – Patienten mit einem geschwächten Immunsystem sind anfällig für lebensbedrohliche Vireninfektionen. Besonders betroffen sind HIV-positive Menschen sowie Patienten nach einer Organ- oder Stammzelltransplantation. Doch bisherige Medikamente helfen ihnen oft kaum oder schaden sogar. Und da die Zahl der Organspenden- und Stammzellentransplantationen laufend steigt, gibt es eine dringende Notwendigkeit, alternative Behandlungsmethoden zu finden. Forscher um Professor Reinhard Klein an der Fachhochschule IMC Krems wollen deshalb eine effektivere und schonendere Behandlung für die Patienten entwickeln. Die Idee der Wissenschafter: Sie zeigen dem Immunsystem molekulare Fahndungsfotos der Viren, damit es die Erreger jagen und ihre Vermehrung unterbinden kann.

Im Rahmen eines im Mai gestarteten Forschungsprojekts, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, will Kleins Forschungsgruppe die besonders problematische Gruppe der Adenoviren ins Visier nehmen. Diese Erreger lösen zuerst meist Infektionen im Verdauungs- und Atmungstrakt aus, und können sich von dort häufig auf andere Organe ausbreiten, vor allem auf die Leber und die Nieren. "Bei gesunden Menschen hält das intakte Immunsystem die Viren in Schach. Das ist bei Empfängern zum Beispiel von Stammzelltransplantationen nicht mehr im nötigen Ausmaß gegeben", sagt Klein.

Um die Viren zu bekämpfen, macht sich Kleins Gruppe die Technik der sogenannten RNA-Interferenz zunutze. Dabei werden kurze Doppelstrangschnipsel des Erbgutmoleküls RNA in die infizierten Körperzellen eingeschleust. Dort legen Enzyme den sogenannten Leitstrang des Schnipsels frei, der zu einem Abschnitt im Virenerbgut komplementär ist – es handelt sich also um eine Art Spiegelbildfahndungsfoto. Der Leitstrang bildet das molekulare Fahndungsfoto, das nun überall in den Zellen plakatiert wird. Die Viren-RNA mit dem komplementären Abschnitt ist der gesuchte Bösewicht.

Treffen beide RNAs aufeinander, wird die Viren-RNA gebunden, der Zellabwehr präsentiert und von dieser zerstört. Bei Adenoviren zielen die Fahndungsfotos auf RNA-Abschnitte, die den Bauplan für wichtige Proteine bilden. Die Zelle kann nun kontinuierlich die gesuchten Virenbaupläne zerstören und damit die Produktion neuer Viruspartikel verhindern. Da auf diese Weise indirekt die zugehörigen Gene ausgeschaltet werden, spricht man bei der RNA-Interferenz auch von Gen-Stilllegung ("gene silencing"). Für die Entdeckung dieses Phänomens, mit dem sich Zellen auch natürlicherweise gegen Viren wehren, erhielten die US-Forscher Andrew Fire und Craig Mello 2006 den Medizinnobelpreis.

Test bei Syrischem Hamster

In einem früheren Projekt hat Kleins Team mehrere Angriffsziele in Adenoviren identifiziert und kurze RNA-Stücke synthetisiert (sogenannte "short interfering RNA", kurz siRNA). Insbesondere ein Gen erwies sich in Zellkulturexperimenten als geeignetes Ziel: das Gen für das Virenenzym DNA-Polymerase, das die Viren-DNA für neue Partikel zusammenbaut. Wie die Forscher 2012 im Fachjournal Antiviral Research berichteten, konnten sie durch das Ausschalten der Polymerase die Produktion neuer Viruspartikel zu einem großen Teil ausschalten. Ihre Zahl sank um 99,6 Prozent.

In dem neu gestarteten Forschungsprojekt wollen die Forscher nun auch in Tierversuchen mit dem Syrischen Hamster testen, wie gut ihre künstlichen siRNAs die Virusvermehrung unterbinden. Diese Tiere seien gut für Rückschlüsse auf die potenzielle Wirksamkeit im Menschen geeignet, da sie "im Gegensatz zu Mäusen gut mit humanen Adenoviren infizierbar sind und ein Modell entwickelt wurde, in dem die menschliche Immundefizienz wie sie nach einer Stammzelltransplantation durch Immunsuppression entsteht, nachgestellt werden kann", so Klein. Parallel dazu wird seine Gruppe auch eine zweite Variante von künstlichen Kurz-RNAs untersuchen, die als Vorstufe in die Zellen eingeschleust und dort zum fertigen Endprodukt getrimmt wird (artifiziell Mikro-RNA, kurz amiRNA), um festzustellen, welche wirksamer ist.

Wichtig ist allerdings, dass die künstlichen RNA-Stücke nur die geplante Viren-RNA ausschalten dürfen und nicht unbeabsichtigt an andere Erbgutstücke in den Zielzellen binden. Dafür müssen sie Klein zufolge zum einen mit bioinformatischen Methoden so ausgewählt werden, dass sie zu anderen Abschnitten wenig oder gar nicht komplementär sind. Zum anderen lassen sie sich chemisch modifizieren, damit sie so spezifisch wie möglich sind. "Klinische Phase-II- und Phase-III-Studien haben gezeigt, dass siRNAs bei sorgfältigem Design mit keinen großen Nebenwirkungen verbunden sind. Das muss aber für jede siRNAs getrennt untersucht werden", sagt Klein.

Eine RNAi-Behandlung könnte später nicht nur effektiver als die bisherigen Medikamente sein, sondern auch relativ lange wirken. "Es gibt mittlerweile siRNA, die über eine Zeitspanne von Wochen oder Monaten hinweg ihre Funktion in den Zellen ausüben", sagt Klein. Die künstlichen Erbgutstücke müssen vor allem der Zersetzung durch Enzyme in den Zielzellen widerstehen können. "Eine Verabreichung, die nicht häufiger als alle paar Wochen oder Monate notwendig ist, würde natürlich eine erhebliche therapeutische Erleichterung darstellen." (Veronika Szentpétery-Kessler, 17.6.2017)