Louise Lecavalier (li.) mit Robert Abubo in "Battleground". Zu sehen ist die einstündige Produktion der Company Fou Glorieux in Salzburg am 20. und 21. Juni.

Foto: André Cornellier

STANDARD: Hinter Ihrem Stück "Battleground" steht Italo Calvinos Buch "Der Ritter, den es nicht gab". Was hat es damit auf sich?

Lecavalier: Als ich mit dem Stück begann, hatte ich kein Thema im Sinn. Ich habe einen Monat allein im Studio getanzt und das gefilmt. Bei Durchsicht der Videos erkannte ich einen Charakter darin, der mich an Calvino und Animes von Hayao Miyazaki erinnerte.

STANDARD: Was war der Reiz daran?

Lecavalier: Miyazakis Charaktere mag ich, wenn sie in ähnliche Schwierigkeiten kommen wie Calvinos körperloser Ritter Agilulf. Ich mag Herausforderungen. Es ist ja schon schwierig, ein normaler Mensch zu sein, und dafür formuliere ich oft Bewegungsmetaphern. Indem ich zum Beispiel durchspiele, wie es ist, wenn man mit den Beinen feststeckt.

STANDARD: Nun tanzen Sie mit einem Mann im Duett?

Lecavalier: Ja, aber dabei geht es nicht um eine Mann-Frau-Beziehung. Als ich Robert Abubo die Zusammenarbeit anbot, hatte ich bereits viele Ideen entwickelt und erzählte ihm von Agilulfs Knappe Gurdulù. Er hatte Freude am Spiel mit dem Charakter und war perfekt dafür.

STANDARD: Identifizieren Sie sich mit dem Ritter Agilulf?

Lecavalier: Nicht unbedingt mit seiner Persönlichkeit, aber mit der Idee, dass er keinen physischen Körper hat. Ich animiere ein Kostüm, einen Umriss und die Striktheit, mit der Agilulf seine Aufgaben angeht. Damit kann ich mich als Tänzerin selbst überraschen.

STANDARD: Welche Schwierigkeiten hat der Körper in der Gesellschaft?

Lecavalier: Dass der Körper im Bild gefangen ist, wissen wir ja. Wir verbringen alle unsere Zeit mit ihm und kennen ihn gar nicht wirklich. Der Tanz ist eine Gelegenheit, im Körper zu sein und ihn nicht immer von außen zu sehen.

STANDARD: Was ist falsch an unseren Körperbildern?

Lecavalier: Sie sind manchmal so oberflächlich und leer ... Mein Interesse gilt mehr dem Innenleben des Körpers, dem, wie man sich fühlt. Ich möchte eher mein Gehirn öffnen als mehr von meiner Haut zeigen.

STANDARD: Wann haben Sie begonnen, eigene Stücke zu choreografieren?

Lecavalier: Als ich zu tanzen anfing, musste ich schon selbst choreografieren, weil ich damals keine Lehrer hatte. Schließlich besuchte ich Klassen, war bei einer Company (Le Groupe Nouvelle Aire), musste schnell lernen. Mit 21 bin ich da weg und habe ein eigenes kurzes Solo gemacht. Bei Édouard Lock widmete ich mich ganz der Entwicklung seiner Arbeiten. Als ich La La La Human Steps verließ, fragte ich andere Künstler, ob sie für mich choreografieren wollen. Erst dann, 2012, habe ich mein erstes Stück, So Blue, choreografiert.

STANDARD: Wie ist es zu Ihrer und Locks Zusammenarbeit mit David Bowie gekommen?

Lecavalier: Erst wollte Bowie die Choreografie von Human Sex in seine Glass Spider Tour von 1987 aufnehmen. Aber wir hatten das Stück schon zwei Jahre getourt. Édouard war eher an etwas Neuem interessiert, und ich habe auch nicht gesehen, dass das sehr kreativ sein könnte. Also lehnten wir ab. Später hat das Londoner Institute of Contemporary Arts Bowie und La La La Human Steps gebeten, etwas gemeinsam zu machen. Das war die erste Zusammenarbeit. Wir gingen auf Tour in Europa. In Amsterdam machten wir tagsüber vor den Shows ein paar Kleinigkeiten für David und mich. 1988 wollte er ein Duett für Look Back in Anger mit Marc Béland und mir. Und wir haben in New York für Bowies Video Fame '90 gefilmt.

STANDARD: War das positiv für Sie?

Lecavalier: Sehr nett, ein bisschen wie Ferien. Es war schon eine Herausforderung, mit Bowie fünf Minuten auf der Bühne zu performen, aber nicht zu vergleichen mit der Arbeit, die wir machen, wenn wir zeitgenössischen Tanz zeigen.

STANDARD: Wie sehen Sie Ihre Zusammenarbeit mit Lock heute?

Lecavalier: Er interessierte sich für meine Qualitäten, so wie ich mich extrem für die seinen. Es war wie bei einer Liebesgeschichte, man kalkuliert nicht. Als ich die Company verließ, war es höchste Zeit. Denn er begann, mehr mit Balletttänzern zu choreografieren, und da konnte ich nicht mitmachen.

STANDARD: Wie erleben Sie als Tänzerin mit 58 Jahren Ihren reifen Körper?

Lecavalier: Reifer Körper, das höre ich oft. Und ich mag es nicht besonders. Als ich so Anfang 20 war, wollte ich diese Reife. Aber jetzt, da es so weit ist, rechne ich nicht damit – genauso wie ich nicht mit meiner Jugend kalkuliert habe, als ich jung war. Es gibt reife Tänzer, die auf der Bühne weniger machen können und glücklich damit sind. Daran glaube ich echt nicht. Das wäre schwach.

STANDARD: Wichtig ist also Stärke?

Lecavalier: Ja, man kann auch mit 90 Jahren stark sein! Man kann kämpfen. Ich habe gekämpft, als ich jung war, und ich kämpfe immer noch.

(INTERVIEW: Helmut Ploebst, 14.6.2017)