Beach Boy Mike Love referiert das Thema Unsterblichkeit.

APA/Herbert Neubauer

Von den Rolling Stones heißt es, man verlasse sie nur im Sarg. Ein Beach Boy ist man noch im Jenseits.

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Wien – Es geht bei Musik oft um das Lebensgefühl, das sie transportiert. Und das stellt sich sogar ein, wenn die Knie beim Beugen knirschen und beim anschließenden Strecken die Sanitäter vor dem Saal nervös an der Trage fingern. Doch das Lebensgefühl sollte am Montagabend gewinnen. Mike Love – grauer Bart, Baseballmütze, LSD-Bekenntnishemd – wirkte zu Beginn noch tatterig. Doch ein paar Loblieder auf das Surfen später stand er fest am Brett. Auf keinem Surfbrett, das nicht, aber auf den Brettern der Bühne der Wiener Stadthalle.

Dort huldigte er als letztes verbliebenes Gründungsmitglied der als Beach Boys tourenden Band den Girls, dem Spaß, heißen Öfen und kühlem Chrom. Es geriet zu einem Abend im Zeichen ewiggültiger Pophistorie. An die 40 Songs sollten es am Ende sein, ein schlechter war nicht dabei.

Die Frage Beatles oder Stones beantworten viele seit 50 Jahren mit Beach Boys. Über 300 Millionen Kunden können nicht irren. Die Beach Boys schenkten der Welt Rock 'n' Roll mit himmlischem Chorgesang und karamellisierten Melodien.

Elogen auf das Surfen

Die Band aus Los Angeles schrieb in den frühen 1960ern mit am Soundtrack der sich global formierenden Jugendkulturen. Drüben, im Golden State, formulierten die Wilson-Brüder mit Cousin Mike Love und Al Jardine als einzigem nicht Blutsverwandtem diesen Soundtrack als kurzweilige Zerstreuung. Love schrieb mit Brian Wilson zweiminütige Elogen auf das Surfen, Autos, den Sonnenuntergang. Rock 'n' Roll als Strandvergnügen.

Mitunter schwang in der vordergründigen Fröhlichkeit eine Melancholie mit, die Wilsons Persönlichkeit unter Verwendung von Erzeugnissen der bewusstseinserweiternden Industrie bald bis hin zur Arbeitsunfähigkeit verdunkeln sollte. Wilson, der am 20. Juli am selben Ort auftritt, war das Genie der Band. Er schickte seine Brüder mehr als einmal surfen, um seine Visionen mit einer als Wrecking Crew berühmt gewordenen Studiomannschaft umzusetzen. Seine Brüder hatten nicht das Zeug dazu.

Davon war am Montag nichts zu merken. Achtköpfig standen die Beach Boys auf der Bühne. Schlagzeuger John Cowsill trieb die Band konsequent an; wenn Loves Stimme schwächelte, der Boy ist 76, übernahm Gitarrist Jeff Foskett, der einige der besten Songs des Abends bot. Aber was soll das schon heißen? Es gab keinen schlechten, nur Feintuning in der Oberliga. Die großartige Interpretation von "I Can Hear Music", das Brian Wilsons Vorbild Phil Spector einst den Ronettes verordnet hatte. Oder das betörende "Don't Worry Baby", zudem diverse Liebesgeständnisse an geile Flitzer ("Ballad of Ole' Betsy", "Little Deuce Coupe" oder "409").

Als Bühnendekoration genügten ein paar Palmen, im Hintergrund liefen Videos. Vintage-Aufnahmen der Band aus den Sixties, Familien-Memorabilia, Konzertmitschnitte. Bilder, die Teil der Ikonografie der Populärkultur geworden sind.

Fun und Sehnsucht

Nach der Pause erhob sich das Publikum des ausverkauften Saals, um zu "Sloop John B" zu tanzen, bald war der Raum vor der Bühne ganz eingenommen: Party, Fun, Fun, Fun. Dazwischen zarte Wehmut mit dem in der Nacht vor der Ermordung John F. Kennedys geschriebenen "Warmth of the Sun" oder dem immergrünen Sehnsuchtshadern "California Dreamin'".

Von den Rolling Stones heißt es, man verlasse sie nur im Sarg. Ein Beach Boy ist man noch im Jenseits. "God only Knows" wurde mit einer Gesangsspur des 1998 gestorbenen Carl Wilson dargeboten, "Do You Wanna Dance" ließ die Stimme des 1983 ertrunkenen Dennis Wilson erklingen. Zwei weitere Beispiele für die Unsterblichkeit dieser Kunst. Good Vibrations bis in den Himmel. (Karl Fluch, 13.6.2017)