Coldplay-Frontmann Chris Martin.

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Wien – Bunt war's. Das ist jetzt nichts, warum man vorrangig ein Konzert besucht, aber bitte. Und bunt war eine Untertreibung, es war arg bunt. Buntestbunt.

Da waren einmal die Raketen. Die stiegen vom Bühnenhintergrund in den Himmel, und 50.000 Besucher kreischten. Dabei waren es nicht einmal spektakuläre Raketen. Nur so Fünf-Euro-Sputniks. Nichts, worüber man zu Silvester in Hysterie verfallen würde, aber wenn Coldplay Raketen steigen lassen, dann.

Lasershow und Flammen

Coldplay waren der Grund der bunten Zusammenkunft am Sonntagabend im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Und weil die Band den Ruf hat, eher farblos zu sein, wurde gegengesteuert. Zum Raketenzeug kam später noch andere Pyrotechnik. Flammen schossen hoch aus dem Boden. Huch! Gekreisch. Ein Wahnsinn.

Dann drei Riesenleinwände, damit man was sieht, natürlich in bunt. Dazu ein Konfettiregen (bunt, logisch). Und erst die Lasershow. Farbige Striche, die das Stadion durchmaßen, dem Himmel zeigten, wo es langging. Wieder Gekreisch. Ein Wahnsinn.

Blinkende Gelenke

Aber das war noch nicht alles. Schon am Eingang wurden Armbänder verteilt, die ferngesteuert ebenfalls leuchteten. Das ergab ein orchestriertes Farbenspiel im Oval, das an die letzte Eröffnung der Olympischen Spiele der Glühwürmchen erinnerte. Natürlich wurde das alles festgehalten. Mit dem Handy. Ein Wahnsinn, so viele Handgelenkslichtorgeln.

Das mit dem Handy verwundert jedes Mal. Warum legt man 100 Euro für einen Sitzplatz im Juchhe ab, um die Show mit dem Handy zu filmen? Durchgehend. Also etwas aufzunehmen, das man mit dem bloßen Auge schon nur in Insektengröße sieht, um es dann mit der Lupe in Insektengröße zu betrachten. Und das alles verwackelt.

Weil man muss ja mit dem bunten Armband winken. Und kreischen, wenn eine Rakete "Blop!" macht. Und mit der Musik voll abgehen. Apropos. Musik. Stimmt, die gab es natürlich, konnte man fast vergessen in dem ganzen Trubel.

Knieweiche Welteroberung

Coldplay also. Live in Wien. Ausverkauft. Super Burschen. Vier aus England, seit 20 Jahren im Geschäft, Weltstars. "Against all odds", wie man eingedenk von Phil Collins sagen könnte. Denn Chris Martin und seine drei Mitspieler traten mit einer Musik an, die ein wenig knieweich ist, naturknieweich.

Damit lösten sie ums Millennium eine Generation von Britpop-Stars ab, die sich gottlosen Hilfsmitteln und tagelangem Schlafentzug hingeben mussten, um knieweich zu werden. Die Gallagher-Brüder von Oasis zum Beispiel. Mit Coldplay löste die Generation Teetrinker die Rock-’n’-Roll-Proleten ab. Sensible junge Männer. Hübscher, harmloser Gesang, kreditwürdiges Äußeres, glückliche Jungfamilienaura.

Schlachtplatte

Mit sieben Studioalben seit 2000 machten Coldplay Weltkarriere. In der Kritik sind ihre Werke wenig gut angeschrieben. Saft- und kraftlose Balladen im Heulbojenmilieu. Kunstleid. Eine neue Coldplay-Platte gilt als Schlachtplatte.

Live, ja, live, da ist alles viel bunter und lauter. Im Praterstadion kam das Laute stellenweise grässlich abgemischt daher, und die Gruppe reduzierte sich irgendwie auf Chris Martin, während die anderen wie weltberühmte Mauerblümchen rüberkamen. Martin aber, der wirkte gesund, trainiert, von einnehmendem Wesen. Damit ist er bereits der Charismatiker der Band. Seine Sprints, sein Lächeln, sein Klavierspiel und sein an Bono (der U2-Typ) erinnernder Gesang prägten den Abend.

"Heirate mich!"

Rund zwei Dutzend Songs sollten es werden, dargereicht auf drei verschiedenen Bühnen. Laute und leise Lieder. Dazwischen Goderkraulen des Publikums: Wien, super Stadt. Die lange Nacht der Kirchen, ein Traum. (Hat der gerade wirklich "Die lange Nacht der Kirchen" gesagt?)

Coldplay spielen sogenannte ehrliche Musik. Eingängige Popmusik, die oftmals eingeht vor lauter Eingängigsein. Live nicht. Da wurde geprotzt, Martin charmierte sportiv. Überall böllerte und leuchtete es. Dazwischen Ruhe, Besinnlichkeit. Der 40-Jährige balladierte Everglow alleine am Klavier und ersuchte, doch etwas Liebe in die Welt zu schicken. Oooh! Gekreisch. Applaus. Heirate-mich-Plakate.

Liebe schicken

Nach Amerika solle man die Liebe schicken, nach Syrien, überall dorthin, wo Menschen ihrer bedürftig seien. Etwa in Manchester. Da standen Coldplay zuletzt bei einem Benefizkonzert mit einem der Gallagher-Brüder auf der Bühne, um der Toten des Attentats nach dem Konzert von Ariana Grande zu gedenken. Klatschen, Handyleuchtmeer. Rührung.Dann wieder eine schnelle Ballade, das, was der Fan Hymne nennt und Ö3 ohne Angst spielt. Immer wieder und wieder. Und wieder.

Darauf ein Titel mit angezogener Handbremse. Bloß nicht zu wild werden. Am Schluss war’s aus. Applaus, Gekreisch, Handyfilme. Wir sind eine große Familie.

Man könnte also von Bombenstimmung sprechen, aber das verbietet neuerdings die Pietät. Na dann, ein bunter Abend, immerhin. (Karl Fluch, 12.6.2017)