Der Pleitegeier soll warten, wenn ein Unternehmen in Schieflage gerät.

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Wien – Europa hat sich eine weitere Harmonisierung des Insolvenzrechts im Binnenmarkt auf die Fahnen geheftet. Seit Ende 2016 liegt ein Richtlinienentwurf der Kommission vor, der – zumindest für den österreichischen Insolvenzbereich – neue Wege in der außergerichtlichen Sanierung beschreitet. Die Spielregeln für Unternehmer mit finanziellen Schwierigkeiten sollen dadurch vereinfacht werden: Wer sich in Zukunft mit der Gefahr einer Insolvenz bedroht sieht, kann unter gerichtlicher Aufsicht frühzeitig einen Restrukturierungsplan mit seinen Gläubigern verhandeln.

Mithilfe einer solchen präventiven Restrukturierung sollen schneller Maßnahmen ergriffen und gesetzt werden, die den Ausschlag für die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens geben können. Der Entwurf gibt den Mitgliedstaaten zudem die Möglichkeit, bestimmte Regelungen auch auf Privatpersonen auszudehnen.

Frühes Sanierungsverfahren

Die Einleitung eines sogenannten vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens erfolgt entweder auf Antrag des insolvenzbedrohten Schuldners oder auf Antrag eines Gläubigers, wobei im zweiten Fall die Zustimmung des Schuldners erforderlich ist. Ein solches Verfahren kann daher – anders als im bekannten gerichtlichen Insolvenzverfahren – nicht gegen den Willen des Schuldners eingeleitet werden. Der Schuldner behält in der Regel die Kontrolle über sein Unternehmen und das Verfahren. Die Bestellung eines Sanierungsverwalters ist nur in bestimmten Fällen vorgesehen.

Der Schuldner erstellt einen Restrukturierungsplan mit dem Ziel, durch die Umsetzung dieses Plans die Insolvenz des Unternehmens abzuwenden. Daneben enthält der Restrukturierungsplan Angaben zu den betroffenen Gläubigern, eine aktuelle Unternehmensbewertung sowie Angaben zu Dauer, Ausmaß der Entschuldung und allfälligen neuen Finanzierungen.

Wie im uns bekannten gerichtlichen Insolvenzverfahren findet eine Abstimmung der betroffenen Gläubiger über die Annahme des Restrukturierungsplans statt. Zu diesem Zweck werden die Gläubiger in Abhängigkeit ihrer Ansprüche und Interessen verschiedenen Klassen zugeordnet. Die erforderliche Mehrheit für die Annahme des Restrukturierungsplans soll dabei 75 Prozent pro Gläubigerklasse nicht übersteigen.

Neue Finanzierungen

Eine bedeutende Neuerung im Entwurf der Richtlinie ist, dass der Restrukturierungsplan trotz fehlender Zustimmung einer Gläubigerklasse durch gerichtliche Bestätigung angenommen werden kann. In Einzelfällen ist diese verpflichtend erforderlich, etwa bei der Gewährung von neuen Finanzierungen. Der Restrukturierungsplan bindet jedoch nur jene Gläubiger, die an der Verhandlung des Restrukturierungsplans mitgewirkt haben.

Wesentlich ist, dass Überbrückungs- und Restrukturierungsmaßnahmen, wie insbesondere neue Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen, in Hinblick auf ein in der Folge eingeleitetes Insolvenzverfahren rechtlich nicht angreifbar sein sollen (d. h. anfechtbar, nichtig oder relativ unwirksam), sofern sie nicht in schlechtem Glauben ("bad faith") gewährt wurden.

Die Mitgliedstaaten können im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie vorsehen, dass den Gläubigern, die neue Finanzierungen oder Zwischenfinanzierungen zur Verfügung stellen, entsprechender Vorrang hinsichtlich der Befriedigung ihrer Forderungen in einem nachfolgenden Liquidationsverfahren eingeräumt wird.

Für einen Zeitraum von vier bis zwölf Monaten kann dem Schuldner in Hinblick auf die Forderungen aller oder einzelner Gläubiger ein Zahlungsaufschub gewährt werden. Wird während eines solchen Zahlungsaufschubs neben der rechnerischen Überschuldung des Unternehmens auch die Prognose über die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens negativ (und damit der Insolvenzeröffnungsgrund der Überschuldung) schlagend, so kann in diesem Fall auch die Verpflichtung des Unternehmers zur Insolvenzanmeldung – für den Zeitraum des Zahlungsaufschubs – ausgesetzt werden.

Die Mitgliedstaaten können allerdings die sofortige Insolvenzantragspflicht vorsehen, wenn der Unternehmer in der Zeit des Aufschubs zahlungsunfähig wird; man wird sehen, welche Lösung der österreichische Gesetzgeber hier vorsehen wird.

"Zweite Chance"

Unter dem Schlagwort "Zweite Chance" sieht der Entwurf auch die Einführung eines vorinsolvenzlichen Verfahrens zur persönlichen Entschuldung des Unternehmers vor. Der Zeitraum dafür soll entweder drei Jahre ab der Implementierung eines Restrukturierungsplanes betragen oder drei Jahre ab der gerichtlichen Eröffnung eines Liquidationsverfahrens (wenn es in der Folge zu einem solchen kommt).

Da die Vorschläge für die Richtlinie dem österreichischen Insolvenzrecht in vielerlei Hinsicht fremd sind, ist abzuwarten, wie das System der präventiven Restrukturierung in das uns bekannte System eingegliedert werden soll. Die endgültige Fassung der Richtlinie, die voraussichtlich 2018 vorliegen wird, wäre von den Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten in nationales Recht umzusetzen.

Es bleibt daher für den Gesetzgeber noch genügend Zeit, auch auf praxisnahe Änderungsvorschläge der diversen Stakeholder im Insolvenzbereich einzugehen. (Stefanie Heimel, Julia Maronitsch, 12.6.2017)