Man kennt diese Fotos ja aus Kriminalfilmen: Die frisch Inhaftierten stehen vor einer hübschen Wand mit waagrechten Linien, die einen Anhaltspunkt für die Körpergröße der mutmaßlichen Kriminellen liefern. Dann werden die Fotos gemacht. Eine klassisches Porträt von vorne, zwei weitere, die das Profil der Täter festhalten. Und schon wandern die wenig inspiriert arrangierten Fotos, die auch Mugshots genannt werden, zu den Akten.
Mugshots können auch kunstvoll sein
Dass es auch anders geht, beweisen die außergewöhnlichen Fotos, die zwischen 1910 und 1930 in diversen australischen Gefängnissen aufgenommen wurden. Die etwa 2500 Bilder, die von unterschiedlichen Fotografen des New South Wales Police Department stammen, zeigen Mörder, Diebe, Kleinkriminelle und Prostituierte kurz nach ihrer Verhaftung.
Die Fotos entwickeln ihren eigenen, ganz speziellen Reiz, weil die Inhaftierten in ihren privaten Anzügen und Kleidern vor die Kamera traten. Vielfach wurden – wie in einem Fotostudio – zusätzliche Hilfsmittel wie zum Beispiel Stühle ins Bild gebracht. Sehr speziell und einzigartig auch die Gruppenfotos wie das obige, in dem die vier Herren ganz locker, gut gekleidet und bestens gelaunt in die Kamera lächeln.
Sehr bemerkenswert sind auch die außergewöhnlichen Perspektiven und Bildschnitte, die die Polizeifotografen vielfach wählten. Von erhöhtem Standpunkt, aber auch von einer weit unterhalb der Horizontlinie gelegenen Kameraposition aus, wurden manche Porträts aufgenommen. Außerdem kombinierten die Fotografen manchmal zwei Bilder, die die Inhaftierten im Porträt und in Ganzkörperpose zeigen – ein in der Geschichte der Mugshot-Fotografie vielleicht einmaliges Kuriosum.
Die vielleicht erstaunlichste Geschichte verbirgt sich hinter dem Namen Eugene Falleni. Eugene wurde als Eugenia Falleni geboren, doch kleidete sie sich männlich und nahm eine neue Identität als Harry Leo Crawford, später als Eugene Falleni an. In Sydney verliebte er sich in Annie Birkett, eine Witwe, der er seine ganze Zuneigung spendete. Im Jahr 1917 jedoch scheint eine Nachbarin Annie mitgeteilt zu haben, dass der fesche Herr mit gutem Benehmen als Frau geboren worden war.
Bei einem Streit über dieses Thema stürzte Annie über einen Felsen, schlug sich den Kopf an und wurde ohnmächtig – dies gab jedenfalls Eugene beim Verhör an. Trotz seiner Wiederbelebungsversuche starb Annie. In seiner Verzweiflung, dass seine wahre Identität gelüftet werden könnte, falls Annies Tod genauer untersucht würde, versuchte Eugen die Tote unidentifizierbar zu machen: Er verbrannte die Leiche. Die Schuld an Annies Tod konnte ihm zunächst nicht nachgewiesen werden. Annie Birketts Sohn strengte jedoch wenig später einen Prozess an, in dessen Verlauf Eugene Falleni trotz Fehlens eindeutiger Beweise zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. 1931 wurde er vorzeitig entlassen und starb sieben Jahre später an den Folgen eines Verkehrsunfalls.
Alles in allem ganz außergewöhnliche Porträts, die mitunter mehr an durchgestylte Model-Shootings als an Mugshots von inhaftierten Kriminellen erinnern. (Kurt Tutschek, 16.6.2017)
Bildquelle
- Die Fotos wurden dem Autor vom Sydney Living Museums / New South Wales Police Forensic Archive zur Verfügung gestellt.
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