Namenslisten Deportierter am Mahnmal auf dem Judenplatz.

Foto: Klaus Prokopp

Wien – Mit zehn Märschen von der Kleinen Sperlgasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk zum Judenplatz gedenken Unterstützer des Vereins "IM-MER Maly Trostinec erinnern" zwischen November 2016 und Oktober 2017 der Massendeportationen von Juden durch die Nationalsozialisten vor 75 Jahren. In zehn Transporten zwischen November 1941 und Oktober 1942 wurden damals 13.500 Menschen weggebracht.

Die allermeisten kamen direkt in ein Waldstück nahe dem kleinen Ort Maly Trostinec im heutigen Weißrussland. Dort erschoss man sie oder erstickte sie in Gaswagen.

Namensverlesungen

Um dieser Menschen zu gedenken, verlesen Marschteilnehmer am Judenplatz, vor dem Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah, die Namen der jeweils vor 75 Jahren Deportierten. Und bisher hinterließen sie diese dort auch, gedruckt auf laminierten Zetteln, unter einer mit Steinen beschwerten Schale. Eine Art Vorvollziehung des von Waltraud Barton, Obfrau der Maly-Trostinec-Initiative, geforderten Grab- oder Mahnmals für die Ermordeten in dem weißrussischen Ort, auf dem alle Namen stehen sollen. Der Nationalrat stimmte im Oktober 2016 einstimmig für ein solches Denkmal – jedoch ohne jedes Budget.

Dieser behelfsmäßigen Gedenkenpraxis machte diese Woche das Wetter ein Ende. Dienstagnacht wirbelte ein über Wien ziehender Sturm die Zettel auf und verteilte sie quer über den Platz. Tags darauf seien Passanten achtlos auf die Zettel getreten, schildert Daniele Spera, Direktorin des Jüdischen Museums und Mahnmal-Unterstützerin: "Mir tat das in der Seele weh". Eine Mitarbeiterin ließ Barton schriftlich bitten, "Die Blätter und Steine wieder einzusammeln und mitzunehmen, damit das Mahnmal und der Judenplatz wieder gepflegt und ordentlich ausschauen".

Offener Brief

Barton tat das. Nun fordert sie Kanzler, Bundes- und die Wiener Landesregierung dringend auf, das Mahnmal in Maly Trostinec zu finanzieren: "Ohne Grabmal, wo die Namen stehen, bleiben die Ermordeten die, zu denen man sie vor 75 Jahren gemacht hat: Ausgestoßene". (bri, 9.6.2017)