Wie schon vor ihr David Cameron hat sich auch Theresa May verkalkuliert: Die Wählerinnen und Wähler in Großbritannien haben die erwartete Unterstützung versagt, die meisten Meinungsforschungsinstitute lagen daneben.

Die Premierministerin hatte Neuwahlen zwar mutwillig vom Zaun gebrochen, aber aus einer Position der Stärke heraus: Sie hatte die konservative Partei nach dem von ihrem Vorgänger angerichteten Chaos stabilisiert und genoss hohe Popularitätswerte, während die Führungsqualitäten ihres politischen Gegners Jeremy Corbyn sogar in den eigenen Labour-Reihen offen infrage gestellt wurden.

Aber während des Wahlkampfes drehten sich die Verhältnisse um: May wurde von Auftritt zu Auftritt hölzerner, während Corbyn – unterstützt von einem auf Gerechtigkeit basierenden Wahlprogramm – an Statur gewann. So wie in den USA der inzwischen 75-jährige Bernie Sanders insbesondere junge Wähler ansprach, motivierte auch der mit 68 Jahren etwas jüngere Corbyn diese Klientel, für ihn zu stimmen. Beide Veteranen tragen die Bezeichnung Parteirebell mit gewissem Stolz und vertreten in ihren Parteien linkere Positionen.

Chance genutzt

Ein Teil der jüngeren Wähler dürfte die Chance genutzt haben, sich an der älteren Generation für das Brexit-Votum zu rächen – oder etwas gutzumachen. Denn beim Referendum im Juni 2016 hatten vor allem Jüngere bei dieser zukunftsentscheidenden Abstimmung nicht teilgenommen.

Eine weitere Fehlkalkulation Mays war die Erwartung, dass ihre harte Haltung gegenüber Brüssel von den Briten honoriert werden würde. Die rechtspopulistische Ukip, auf deren Drängen das Referendum eigentlich zustande gekommen war, flog sogar aus dem britischen Parlament. Die Wähler konzentrieren sich vor allem auf Tories und Labour, beide erhielten über 40 Prozent, was de facto eine Renaissance des Zweiparteiensystems brachte.

Dass es drei Terroranschläge während des Wahlkampfes geben würde, damit konnte niemand rechnen. Aber für die ehemalige Innenministerin rächte sich, dass ihr der Abbau von tausenden Polizistenstellen vorgehalten werden konnte. In Wahlkreisen, in denen May persönlich intensiv Wahlkampf betrieb und wo die Bürger beim Brexit-Referendum mehrheitlich für einen Verbleib in der EU gestimmt hatten, büßten die Tories Stimmen ein.

Ablehnung gegen Brexit

Alle anderen Parteien im Unterhaus und sogar einige Abgeordnete ihrer eigenen Partei lehnen einen harten Brexit, wie ihn May durchziehen wollte, ab. Die außerhalb des Vereinigten Königsreichs kaum wahrgenommenen Unionisten in Nordirland wollen die Grenze zur Republik Irland weiter ohne große Formalitäten passieren und stellen diesbezüglich Bedingungen für eine Duldung der Tories. Auch Wirtschaftsvertreter fürchten Nachteile durch das Verlassen des EU-Binnenmarktes und der Zollunion. Vielen ist erst in den Monaten nach dem Referendum bewusstgeworden, was ein Ausscheiden aus der EU in der Realität bedeutet.

May wird ihre Position aufweichen müssen, was nicht nur die Verhandler in Brüssel freuen wird. Angesichts der neuen Verhältnisse im Unterhaus könnten die Brexit-Gegner sogar die Mehrheit haben, ein neues Referendum könnte angesetzt werden. So gesehen beinhaltet der Wahlausgang eine große Chance – für die Briten und die Europäische Union. (Alexandra Föderl-Schmid, 9.6.2017)