Als Bürger kann jeder etwas gegen den Klimawandel unternehmen – zum Beispiel durch den gezielten Kauf klimafreundlicher Lebensmittel.

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In Zeiten des gesellschaftlichen Wandels kommt unseren Wahrheiten eine besondere Bedeutung zu. Jeder von uns ist aufgerufen, den gesellschaftlichen Veränderungsprozess mitzutragen. Zum Beispiel als bewusst entscheidender Konsument oder als aktiver Bürger im Rahmen unserer demokratischen Möglichkeiten. Das verlangt von uns täglich Entscheidungen und in der Folge Handlungen. Wir orientieren uns dabei an unseren Einstellungen und Werten sowie an unseren Wahrheiten und der Annahme von Wirklichkeit.

Angenommen, wir erkennen – im Gegensatz zum US-Präsidenten Donald Trump – den Klimawandel als gültige Wahrheit für uns an. Dann haben wir uns selbst eine wichtige Frage zu beantworten: Wie gehen wir mit dieser Wahrheit um?

Kluft zwischen Überzeugungen und Tun

Wie entscheiden wir uns zum Beispiel in unserem Routinealltag in Bezug auf Lebensmittel? Mit der täglichen Konsumentscheidung im Supermarkt kann jeder von uns bereits einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Laut einer aktuellen Market-Umfrage halten 58 Prozent der Befragten es für wahr, dass "biologische Produkte besser und gesünder sind als normale Produkte". Der tatsächliche Umsatzanteil biologisch produzierter Lebensmittel in Österreich von unter zehn Prozent zeigt allerdings: Obwohl die Gesellschaft Bio-Lebensmitteln eine hohe Akzeptanz bescheinigt, klaffen die positive Einstellung und das tatsächliche Kaufverhalten immer noch weit auseinander.

Dieses als "Green Gap", "Mind-Behavior-Gap" oder "Value-Action-Gap" bekannte Verhalten ist nicht nur für Bio-Lebensmittel, sondern für den gesamten Nachhaltigkeitsbereich charakteristisch. So kommt eine Studie des deutschen Umweltbundesamts aus dem Jahr 2016¹ zu dem Schluss: Jene gehobenen und kritisch-kreativen Milieus in der Gesellschaft, die meist über eine hohe Bildung und ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen, sind auch jene Milieus, die sich selbst in hohem Maße als bewusste Klima- und Umweltschützer sehen. Tatsächlich haben diese Milieus aber den höchsten Ressourcenverbrauch, verbunden mit den höchsten CO2-Emissionen.

"Die Hauptursachen der hohen Energieverbräuche und CO2-Emissionen vieler Angehöriger der gehobenen und der kritisch-kreativen Milieus im Bereich Mobilität sind vergleichsweise große Autos, ihre häufige Nutzung und lange Urlaubsreisen mit dem Flugzeug oder dem Auto", so die Studie. Dazu kommen noch der vergleichsweise große Wohnraum pro Kopf, der im Winter beheizt und im Sommer (zunehmend) gekühlt werden muss, und die oftmals privilegierte Wohnlage im Grünen, die wiederum zu vermehrter Mobilität führt.

Fehlende Selbstwahrnehmung

Die Wissenschaft hat mittlerweile zahlreiche Gründe für dieses Value-Action-Gap erforscht. Eine besondere Rolle kommt dabei unserer fehlenden Wahrnehmung zu, so die Soziologin Annett Entzian.² Sie ortet in ihrer Studie, dass das vieldiskutierte Mind-Behavior-Gap als Erklärungsmodell für ausbleibendes ökologisches Handeln sich in vielerlei Hinsicht als Mind-Perception-Gap darstellt.

Es fehlt uns also offenbar die Wahrnehmung für uns selbst. Die von uns akzeptierte Wahrheit über den Klimawandel und die fortschreitende Umweltzerstörung steht häufig im krassen Widerspruch zu vielen unserer Gewohnheiten und Einstellungen, die uns ebenfalls lieb und teuer sind. Es fehlt uns das bewusste Erkennen der dadurch entstehenden kognitiven Dissonanz: den inneren Konfliktzustand, den man erlebt, wenn man Entscheidungen trifft und Handlungen setzt, die im Widerspruch zu den eigenen Werten und Überzeugungen stehen.

In Bezug auf den Klimawandel sind diese inneren Konflikte stark situationsbezogen und deshalb für uns oft nicht wirklich greifbar. Lesen wir einen Zeitungsartikel oder sehen eine Dokumentation über die Folgen des Klimawandels, können wir dem Inhalt meist voll und ganz zustimmen und ernste Handlungsabsichten daraus ableiten. Betreten wir nach einem anstrengenden Arbeitstag den Supermarkt, um noch schnell den Einkauf für die Familie zu tätigen, ist es schon fraglich, ob wir uns die Zeit nehmen, alle Produkte in Bioqualität ausfindig zu machen. Die meisten von uns empfinden das Leben so schon als kompliziert genug. Grundsatzdiskussionen mit dem Partner über das doppelt so teure Biohendl, das auf Dauer nur leistbar ist, wenn der eigene Fleischkonsum drastisch reduziert wird, halten daher viele für entbehrlich. Zumal sich dann häufig zeigt, dass die Wahrheitsfindung bezüglich eines nachhaltigen Lebensstils zwischen eigenen Faustregeln, Marketingbotschaften und oft konträren wissenschaftlichen Erkenntnissen, alles andere als einfach ist.

Heute Konsummonster, morgen bescheidenes Veilchen

Und in der Tat: Wer frei von Ökosünden sei, werfe den ersten Stein. So schreibt der deutsche Psychologieprofessor Jens Förster: "Heute Konsummonster, morgen bescheidenes Veilchen, übermorgen Klassensprecher der Vernunftbegabtenklasse. Dieses ständig wechselnde Verhalten gibt uns Konsumenten beinahe etwas Unberechenbares."³ Die einen fahren brav einmal die Woche mit ihren SUVs zum Biobauern einkaufen. Die anderen verzichten artig auf ihr Auto, können sich aber ein Leben ohne regelmäßige Fernreisen nicht vorstellen. Wieder andere halten von Bio gar nichts, pflastern dafür ihr Hausdach voll mit Solarzellen. Widersprüchlichkeiten dieser Art ließen sich beliebig fortsetzen. Alle haben gute Gründe, es genau so zu machen, wie sie es eben machen. Alle haben ihre ganz persönlichen Argumente, um ihr inneres Dilemma zu reduzieren, warum man eigentlich so viel und nicht mehr für den Klimaschutz tut.

Humans oder Econs?

Für wie wahr halten wir den Klimawandel wirklich, wenn wir die alarmierenden Prognosen führender Klimaforscher mit dem eigenen Lebensstil in ein Verhältnis setzen? Sehen wir uns selbst als Homo oeconomicus beziehungsweise als Econ, wie der Verhaltensökonom Richard H. Thaler den rational denkenden Agenten in uns nennt? Und rational bedeutet in dieser Definition widerspruchsfrei.

Oder können wir uns selbst eher als normalsterbliche Humans anstatt als rationale, widerspruchsfreie Econs sehen? Können wir als wahr anerkennen, was die Verhaltensökonomen Thaler und Cass R. Sunstein behaupten: "Auch wenn wir die Absicht haben, eine gute Entscheidung zu treffen, findet ein vom Wettbewerb geprägter Markt nicht selten Mittel und Wege, uns davon abzubringen."⁴

Wären wir in Anerkennung dieser Wahrheit nicht als selbstwirksame Bürger aufgerufen, neue Rahmenbedingungen auf demokratischem Wege einzufordern? Rahmenbedingungen, die uns als Einzelnen einen nachhaltigen Lebensstil ermöglichen ohne das tägliche Gefühl, sich dabei gegen das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem stemmen zu müssen? Und wären hier nicht besonders jene Angehörigen der gehobenen und kritisch-kreativen Milieus aufgerufen, kraft ihrer Bildung, ihrer Einkommen und nicht zuletzt ihres Einflusses eine neue Rolemodel-Funktion in der Gesellschaft zu übernehmen?

Denn irgendwann werden unsere Kinder die Frage an uns richten: War euch die Tatsache des Klimawandels nicht bekannt? Dann wird weder die Antwort Donald Trumps noch die unsere – "Ja, aber unser Leben war sonst schon kompliziert genug" – akzeptiert werden. (Lothar Greger, 9.6.2017)