Der fast vergessene Leindotter, hier in Blüte.

Foto: Andreas G. Heiss

Frucht des Leindotters. Beide, Blüten und Früchte, sind nur wenige Millimeter groß.

Foto: Andreas G. Heiss

Der Fruchtstand der Kolbenhirse. Ähnlichkeiten zu Wellensittichfutter sind nicht zufällig.

Foto: Andreas G. Heiss

Hauchfein: Rest einer Spelze der Kolbenhirse, geborgen aus den wassergesättigten Sedimenten eines römischen Brunnens bei Schönberg (Gemeinde Hengsberg) im Laßnitztal. Die Länge des Maßstabs beträgt einen Millimeter.

Foto: Andreas G. Heiss

Seit der Etablierung der Landwirtschaft im Vorderen Orient vor etwas mehr als 11.000 Jahren und ihrer Ankunft in Mitteleuropa vor knapp 7.500 Jahren hat sich trotz aller Innovationen, Revolutionen und Migrationen einiges bis heute nicht verändert. Um nur eines zu nennen: Damals wie heute stellen Pflanzen die wichtigste Basis menschlicher Ernährung dar. Sei es direkt als Nahrungsmittel, sei es als Viehfutter: An der Basis steht immer eine Pflanze, und in den allermeisten Fällen eine Kulturpflanze.

Kulturpflanzen sind vom Menschen durch jahrtausendelange Züchtungsprozesse genetisch veränderte Organismen, die sich deutlich von ihren wilden Artverwandten unterscheiden. In der freien Natur wären die meisten von ihnen auch gar nicht mehr konkurrenzfähig. Sie sind darauf angewiesen, dass der Mensch ihnen einen geeigneten Lebensraum schafft (Acker bestellen), ihre Konkurrenz aus dem Weg räumt (Unkraut jäten), Pflanzenfresser fernhält (den Garten einzäunen) und sich um ihre Vermehrung kümmert (Ernten, Säen).

Das klingt vielleicht nach verhätschelten "Gengewächsen" des 21. Jahrhunderts, trifft aber bereits auf die ältesten Kulturpflanzen zu. Nicht einmal die beiden oft als "Urgetreide" bezeichneten Weizenarten Einkorn und Emmer wären ohne menschliches Zutun noch imstande, sich dauerhaft an einem Standort zu behaupten. Nach wenigen Jahren ohne Landwirt wären sie verschwunden.

Umweltfaktoren und Traditionen

Herauszufinden, welche Kulturpflanzen zu bestimmten Zeiten in einer Region angebaut wurden, ist einer der Schwerpunkte archäobotanischer Forschertätigkeit. Als wichtigste Datenquelle nutzen wir dafür Pflanzenreste aus archäologischen Grabungen, die uns in Verbindung mit dem archäologischen Kontext und seiner Interpretation zeigen, welche Pflanzen zu welchem Zweck verwendet wurden. Geoarchive, die Auskunft über Klima- und Vegetationsgeschichte geben, setzen diese Erkenntnisse in den größeren Zusammenhang eines Naturraums.

Wir wissen heute, dass Umweltfaktoren wie Klima und Bodenbeschaffenheit zwar stets großen Einfluss auf den Ackerbau hatten und haben. Dank ethnografischer und historischer Vergleiche wissen wir jedoch auch, dass komplexe kulturelle Entscheidungsprozesse ebenso darüber bestimmen, was auf dem Feld und auf dem Teller landet: dörfliche und familiäre Traditionen ebenso wie symbolische Zuschreibungen, Tabus und wohl auch persönliche Vorlieben.

"Alte" Kulturpflanzen anbauen

Das Interreg-Projekt PalaeoDiversiStyria hat sich zunächst zum Ziel gesetzt, den Wissensstand zu landwirtschaftlichen und kulinarischen Traditionen des Naturraums Südsteiermark und Ostslowenien von der Urgeschichte bis herauf ins Mittelalter zu verbessern. Es gilt also, eine Menge an bioarchäologischen Forschungslücken zu schließen. Das Department für Bioarchäologie des ÖAI ist in diesem Projekt als Auftragnehmer tätig, was uns die große Chance gibt, zahlreiche steirische Fundstellen archäobotanisch zu untersuchen.

Von archäologischer und geschichtswissenschaftlicher Seite werden diesen Daten dann historische Dokumente zum Anbauen, Kochen und Backen zur Seite gestellt. Beim reinen Wissenszuwachs wird es jedoch nicht bleiben: Die bioarchäologischen und historischen Daten sollen als Basis für die Reaktivierung des Anbaus "alter" Kulturpflanzen dienen – als Fortführung früherer Anbautraditionen und als Gewinn für die Biodiversität in der regionalen (Bio-)Landwirtschaft.

Kulinarisch spannende Entdeckungen

Für mich als Archäobotaniker ist der Gedanke, abseits von Grundlagenforschung auch Bausteine für etwas so Praxisnahes wie die Regionalentwicklung beitragen zu können, natürlich sehr verlockend. Es treibt mich schon jetzt ein wenig die Frage um, welche der wissenschaftlichen Belege schließlich Eingang in den alltäglichen Anbau finden werden. Auch kulinarisch wird das Ganze außerordentlich spannend werden. Zu konkreten Rezepten können meine Kollegin Silvia Wiesinger und ich zwar nur wenig beitragen, aber schon die Ingredienzien, die wir finden, haben es in sich.

Kennt eigentlich jemand den Geschmack von Leindotteröl? Nein? Ich verrate es Ihnen: Es schmeckt nach Brokkoli. Der Leindotter (Camelina sativa) als Kulturpflanze war von der Bronzezeit bis ins Mittelalter von großer Bedeutung, ist heute aber fast vergessen. Nur einige wenige Bauern und Ölmühlen widmen sich ihm heute noch. In der Steiermark ist der Leindotter beispielsweise am Frauenberg (Gemeinde Leibnitz, ehemals Seggauberg) für die Spätlatènezeit nachgewiesen. Doch auch die weit bekannteren und schon seit der Jungsteinzeit in Europa angebauten Ölpflanzen Schlafmohn (Papaver somniferum) und Lein (Linum usitatissimum) kennen heute wohl nur mehr wenige als öliges Geschmackserlebnis.

Das kümmerliche Dasein der Kolbenhirse

Auch bei den Getreiden ist vieles in Vergessenheit geraten: Wo die Rispenhirse (Panicum miliaceum) heute zumindest in Bioläden häufiger zu finden ist, fristet die Kolbenhirse (Setaria italica) ihr kümmerliches Dasein meist als Snack in Wellensittichkäfigen. Dabei waren beide Pflanzen von der Späten Bronzezeit bis in die beginnende Neuzeit von essenzieller Bedeutung für die Mittel- und südosteuropäische Landwirtschaft, und sie tauchen auch in steirischen archäologischen Fundstellen regelmäßig auf. Sie verschwanden weitgehend erst mit dem Siegeszug von Mais und Erdäpfeln aus der Region.

Das archäobotanische Fundgut wartet bereits jetzt mit vielen weiteren – vordergründig vergessenen – Beispielen auf. Manche werden wohl auch uns im Projekt überraschen. Wir stehen jedenfalls mitten in der Arbeit. (Andreas G. Heiss, 8.6.2017)