Bruno Beltrãos zehnköpfige Grupo de Rua arbeitet mit Hip-Hop-Elementen. In "Inoah" geht es um Selbstbehauptung, aber auch um Begegnungen und das Aufeinanderzugehen.

Foto: Kerstin Behrendt

Der brasilianische Choreograf Bruno Beltrão treibt seine von Hip-Hop und Breakdance geprägte Tanzsprache einen Schritt weiter. Sein jüngstes Stück, das soeben beim Festival Theater der Welt in Hamburg Welturaufführung hatte und am Freitag bei den Wiener Festwochen in der Halle G Einzug hält, war angekündigt als eines mit großem Laufband. "Das Laufband erschien uns als Möglichkeit, aus üblichen Bewegungsmustern auszubrechen."

"Das Projekt war aber leider zu teuer", sagt Beltrão im Standard-Gespräch unmittelbar nach der Premiere am Sonntag in der Kulturfabrik auf Kampnagel. Und so heißt das Stück nun nicht mehr wie angekündigt New Creation, sondern Inoah und findet ohne Laufband statt.

Laufbänder (bzw. die unausgesetzte Bewegung in eine Richtung) liegen auf Bühnen gerade im Trend (vgl. Die Räuber am Residenztheater München oder Die Borderline Prozession in Düsseldorf, beide beim Berliner Theatertreffen zu sehen). "Wir woll(t)en unsere Fragen übers Gehen diskutieren", stellt auch Beltrão fest.

Abstrakter Titel

Der Titel Inoah ist so abstrakt wie alle Stücknamen Beltrãos. Er bezeichnet in dem Fall aber schlicht jene Stadt in Brasilien, in der der nahe Rio de Janeiro geborene Choreograf mit seiner Compagnie Grupo de Rua eine neue "leistbare" Proben- und Arbeitsstätte gefunden hat. Statt Laufband gibt es neun flache, wie Bordüren an drei Seiten einer Raumdecke entlangführende Bildschirme, die schmale Ausschnitte eines sich verändernden Himmels zeigen. Es wirkt also, als würde hier im dunklen Souterrain getanzt.

Inspiriert ist Inoah von William Forsythes Männerquartett N.N.N.N., in dem Begegnungen und das Aufeinanderzugehen eine große Rolle spielen. Auch Beltrão versucht, den eigentlich ablehnenden Gestus des Hip-Hops ("Bitchmoves") zu durchkreuzen und den Bewegungen etwas Einladenderes zu verleihen. "Es gibt die Notwendigkeit, sich zu verbinden", so Beltrão.

Wenn Inoah nun doch ein eher bekanntes actionreiches Cluster an Bewegungen bedient, so tragen die zehn hochakrobatischen Tänzer bei all den Konfrontationsgebärden eine verspielte Federleichtigkeit in sich, die an Jokes denken lässt. "Wir suchen immer nach Bewegungen, die frisch sind, die man noch nicht so oft gesehen hat", so Beltrão. "Diesmal haben wir sogar im Wasser trainiert, um auf Neues draufzukommen".

Beharrliches Echo von außen

Als hätten sie auch im schwerelosen Raum geübt, wirkt es, wenn die Männer zusammengekauert wie Bälle durch den Raum "springen". Das ist an Virtuosität kaum zu überbieten. Auch im Kopfstand dahinrutschen gibt es. Die Arbeit ist indes düster. In nur schwachem Licht geht das Spiel vor sich, unbestimmt fallen Lichtkegel ein, es grollen Donner unnachgiebig wie ein Echo von einem unbekannten Außen.

Famos sind die Kostüme, für die es, so Beltrão, ein besonderes Role-Model gab: Jaden Smith, die junge Modeikone (Röcke!) und Sohn von Schauspieler Will Smith. Marcelo Summer hat Hosenröcke entwickelt, die männlich und weiblich zugleich sind, die keine dominierende kulturelle Konnotation aufweisen. "Sie sind auf besondere Weise universell", sagt Beltrão. Das Beste: Sie machen aus den harten Körpern charaktervolle Flatterwesen.

Bilder für den Tod

Düsternis und ein ganz besonderer Himmel sind auch Komponenten von Lady Eats Apple des australischen Back to Back Theatre. Zuletzt war die von Bruce Gladwin geleitete Gruppe 2012 mit Ganesh versus The Third Reich und 2015 mit Small Metal Objects bei den Festwochen zu Gast. Die aktuelle Koproduktion gastiert von 14. bis 18. Juni im Theater an der Wien und findet außerordentlich unspektakuläre Bilder für die Tragödie des Todes.

Auf einem kleinen Bühnengeviert geht ein Mann von heiterer Gemütsverfassung in den Tod. Der andere Mann (Gott?) hat ihn erschossen. Über Kopfhörer werden die filigranen Stimmen ganz nah und intim hörbar. Insbesondere auch dann, wenn sich das theatergroße Himmelsgewölbe, unter dem das verlorene Paradies hier liegt (jemand hat an der Erdbeere geknabbert!), zurückzieht.

Gladwin und seine vielfach ausgezeichnete Gruppe aus geistig behinderten Schauspielern erzeugt Poesie ohne Pathos. Sterben macht, dass jemand den Sanitätskoffer holt. In ihm steckt alle Liebe, die man braucht. (Margarete Affenzeller aus Hamburg, 7.6.2017)