Genf/Wien – Jahrzehntelang wurde das Menschenrechtsgremium der Vereinten Nationen vom Regime in Pjöngjang als "Komplott der USA und seiner Alliierten" verteufelt. Besuche von UN-Gesandten in das isolierte Land wurden von der Schutzmacht China per Veto unterbunden. 1997 versuchte die Führung vergeblich, aus dem "Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte" der UN auszusteigen.

Doch drei Jahre nachdem die Vereinten Nationen zum ersten Mal von Nordkoreas "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sprachen, öffnete das Land seine Grenzen für eine unabhängige UN-Sonderberichterstatterin. Catalina Devandas-Aguilar, die Sonderberichterstatterin für die Rechte von Behinderten, war die erste Vertreterin des Menschenrechtsrates, die Anfang Mai offiziell einreisen durfte.

Nordkoreanische Künstler mit körperlichen Beeinträchtigungen bei einem Aufführung und Pjöngjang anlässlich des Internationalen Tags von Menschen mit Behinderungen 2016.
Foto: AFP PHOTO / KIM Won-Jin

STANDARD: Waren Sie überrascht, dass die nordkoreanische Führung Sie eingeladen hat?

Devandas-Aguilar: Ja und nein. Das ist nicht aus dem Nichts geschehen. Wir waren bereits mit der Regierung in Gesprächen wegen der Umsetzung der Empfehlungen des UN-Menschenrechtsrates. Als Pjöngjang Ende 2016 die Konvention für Menschen mit Behinderungen ratifizierte, hat ein Besuch noch mehr Sinn gemacht. Ich würde nicht sagen, dass ich überrascht war – aber doch sehr froh.

STANDARD: Welchen Stellenwert hat es, dass Sie als erste unabhängige UN-Expertin des Menschenrechtsgremiums nach Nordkorea eingeladen wurden?

Devandas-Aguilar: Das müssen andere Personen beurteilen. Für mich war es eine wichtige Gelegenheit, um die Menschenrechte in einem Land zu diskutieren, das bisher keine anderen Mandate akzeptiert hat. Es ist eine Gelegenheit, die zu weiteren Gelegenheiten führen kann. Ich hoffe, dass dieser Besuch eine Auswirkung auf Menschen mit Behinderungen, aber auch auf die Zukunft von Nordkorea und die Vereinten Nationen haben wird.

STANDARD: Klingt so, als hätten Sie bereits vor Ihrem Besuch eine große Verantwortung gehabt, wenn es um nichts weniger als die Zukunft der UN-Beziehungen mit der Diktatur geht.

Devandas-Aguilar: Ich sage nicht, dass sich die Beziehungen über Nacht dramatisch ändern werden. Aber es stimmt, dass ich den Druck fühle. Es ist ein kleiner Beitrag, um den Dialog über Menschenrechte zu eröffnen. Es geht um eine Beziehung, die auf Vertrauen baut, und stückchenweise kann die Regierung Nordkoreas die Vorteile einer Zusammenarbeit sehen. Über Menschenrechte zu reden ist für Pjöngjang der einzige Weg nach vorne.

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Catalina Devandas-Aguilar bei ihrer Ankunft in Pjöngjang.
Foto: AP Photo/Jon Chol Jin

STANDARD: Wie wurden Sie im Land behandelt? Konnten Sie Ihre Besuche selbst planen?

Devandas-Aguilar: Wir wurden sehr nett behandelt, aber die ganze Zeit von den Mitarbeitern des Koreanischen Verbands für den Schutz von Behinderten begleitet. Das ist die Schnittstelle der Regierung. Was die Reiseplanung betrifft, haben wir uns an die Vorgehensweise wie bei jedem anderen Land gehalten: Wir schicken vorab den geplanten Zeitraum, die Behörden, die wir treffen wollen, die Art von Fragen, die wir stellen wollen, und so weiter. Dann antwortet die Regierung mit dem Programm, dass sie uns zusammenstellen können.

Bis dorthin war es das gleiche Prozedere wie immer. Ich bekomme oft nicht alle Programmpunkte, die ich mir wünsche, aber diesmal durfte ich kein psychiatrisches Krankenhaus besuchen. Ich würde sagen, dass das ein großer Unterschied war.

STANDARD: Waren Sie von irgendetwas im Land überrascht?

Devandas-Aguilar: Man merkt die Isolation, etwa wenn es um das Knowhow geht. Sogar im Bereich der Barrierefreiheit, der eher technisch ist, wurden mehr Informationen zu internationalen Standards angefragt. Zwar wurden für meinen Rollstuhl Adaptionen vorgenommen, doch waren nicht einmal Neubauten barrierefrei. A

ußerdem hatte ich nur mit physisch beeinträchtigten Menschen wie Blinden und Hörbehinderten Kontakt. Ich hatte keine Möglichkeit, Menschen mit sozialen oder mit intellektuellen Beeinträchtigungen zu treffen.

Es gab keine Anzeichen von Inklusion. Die Lösung ist, betroffene Kinder zu separieren. Die Regierungsvertreter haben mir erzählt, dass Menschen mit körperlichen Behinderungen – so lange sie sich bewegen können – in normale Schulen gehen. Menschen mit milden intellektuellen Behinderungen würden spezielle Schulen besuchen. Aber Menschen mit schweren intellektuellen Behinderungen haben keinen Zugang zu Bildungseinrichtungen. Doch sie wollen ein Pilotprogramm für Inklusion starten.

STANDARD: Sie haben erzählt, dass Sie ständig begleitet worden sind. Ist das normal?

Devandas-Aguilar: Ich durfte mich allein mit internationalen NGOs treffen. Aber zu den restlichen Treffen – sogar mit der staatlichen Organisation für blinde und hörbehinderte Menschen – wurde ich begleitet. Das ist nicht üblich.

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Die Sonderberichterstatterin bei ihrer abschließenden Pressekonferenz am Ende ihres Nordkorea-Besuchs.
Foto: AP Photo/Jon Chol Jin

STANDARD: Wie war Ihre persönliche Erfahrung, in solch ein isoliertes Land zu reisen?

Devandas-Aguilar: Vor allem vor der Abreise war es fordernd. Den Monat vor der Reise gab es täglich Meldungen über die Spannungen mit Nordkorea. Ich denke, dass ich deshalb mehr um meine Sicherheit besorgt war. Ich habe drei kleine Töchter. Es war schwer zu entscheiden, dass wir uns diese Möglichkeit nicht entgehen lassen. Im Land fühlt man die Isolation mit wenig bis keinem Internetzugang. Aber wenn man dort ist, dann fühlt man sich sicher.

STANDARD: Glauben Sie, dass Sie nach Nordkorea zurückkehren werden?

Devandas-Aguilar: Wir müssen schauen, was passiert, wenn mein Report im März dem Menschenrechtsrat präsentiert wird. Ob die Regierung dann noch interessiert ist weiterzuarbeiten. (Bianca Blei, 10.6.2017)