Eine virtuose, flexible Cecilia Bartoli: Sie ließ bei "Ariodante" die Zeit poetisch stillstehen und dann wieder wild rasen.

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Salzburg – Es gibt in Salzburg, so scheint es, nur zwei verschiedene Wetter. Entweder ist alles kalt und lodenfeucht, oder eine mediterrane Wärme und Lichtheit erfüllt die Stadt – eine Wetterlage, die im Prosawerk Thomas Bernhards ein beklagenswertes Schattendasein führt. Auch den Handlungsgang von Händels Opera seria Ariodante findet man von Extremen geprägt. Im ersten Akt herrschen eitel Wonne und Sonnenschein: Der Titelheld, ein umherziehender Ritter, hat sich in Ginevra, die Tochter des schottischen Königs verguckt. König und Königstochter zeigen sich entzückt, fix wird die Hochzeit geplant.

Im Mittelakt ziehen dunkle Wolken auf: Polinesso, der Herzog von Albany, intrigiert. Mithilfe der ihm ergebenen Hofdame Dalinda gaukelt er Ariodante eine Untreue Ginevras vor. Der Ritter stürzt sich vom Felsen ins Meer, die Prinzessin verfällt in Ungnade und Depression. Doch Polinessos Machenschaft wird aufgedeckt und dieser im Duell getötet, und so kann das Werk in ungetrübter Freudenstimmung schließen.

Ungetrübte Freudenstimmung

In ungetrübter Freudenstimmung endete auch die Premiere bei den Pfingstfestspielen. Natürlich sang deren Chefin, Cecilia Bartoli, die Titelpartie, natürlich wurde sie am heftigsten bejubelt. Die Römerin, mit ihrer unverwüstlichen Positivität eine Art Waltraud Haas des Opernbetriebs, komponierte bereits zum sechsten Mal parallel zum Hochfest der Ausgießung des Heiligen Geistes ein Hochfest der Musik. Zuletzt gönnte sie sich überraschenderweise einen Ausflug ins Musical (Maria in West Side Story). Nun verwandelte sich die 51-Jährige in einen Mann, der sich im Lauf des Stücks in eine Frau verwandelte. Dazu später mehr.

Viel Zartheit

Gesungen hat die Bartoli bemerkenswert. Erst quecksilberhaft schillernd und glitschig, schuf sie im 2. Akt Oasen der Ruhe (Arie Scherza infida). Auch Kathryn Lewek gelangen als Ginevra Momente schwebender Zartheit, in denen die Zeit stillzustehen schien. Es waren überhaupt die leisen Töne, die am Premierenabend am meisten verzauberten. Gianluca Capuano schuf mit den Musiciens du Prince aus Monaco fein gewirkte, narkotische Stimmungen – Stimmungen, die in Händels unkonventioneller und gern bipolar ausgerichteter Partitur ohne Vorwarnung umstürzen konnten wie schlagartige Wetterwechsel.

In diesen emotionalen Stürmen bewährten sich auch die anderen Sänger erstklassig: Christophe Dumaux mit seinem ungewöhnlich kraftvollen, metallischen Counter (Polinesso), Norman Reinhardt mit seinem gewinnend timbrierten Tenor (Lurcanio), Sandrine Piau (Dalinda) und Nathan Berg (König). So durfte man alles in allem vier musikalische Sternstunden erleben.

Ambiente des guten Geschmacks

Johannes Leiacker (Bühne) und Ursula Renzenbrink (Kostüme) schufen für Händels Liebesgeschichte ein Ambiente des guten Geschmacks, das so elegant zwischen den Zeiten tänzelte wie die achtköpfige Ballettgruppe (Choreografie: Andreas Heise). Regisseur Christof Loy bebilderte die Da-Capo-Arien fantasievoll, wundervoll auch seine detailgenaue, kluge wie auch körperliche Personenführung.

Ein wenig aufgesetzt wirkte Loys Idee der Verwandlung Ariodantes vom Mann zur Frau; immerhin durfte man die Bartoli dadurch im 2. Akt im Conchita-Look erleben. Steht ihr gut. Die ewige Sonne Bartoli wird auch 2018 wieder über Salzburg strahlen: Dann wird sie sich Rossinis L’italiana in Algeri widmen. (Stefan Ender, 5.6.2017)