Im Regen stehengelassen: Kleinräumige Extremwetterereignisse sind schwer erfassbar, sagt der Meteorologe Gerhard Wotawa.

Foto: Imago/Ralph Peters

"Medizinische Modelle lassen auf eine mögliche Verzehnfachung der Todesfälle durch Hitzewellen schließen", so der Forscher.

Foto: privat

STANDARD: Die Klimaziele von Paris gelten für alle gleichermaßen. Warum braucht es einen Science-Plan, der auf Österreich fokussiert?

Wotawa: Der Klimawandel ist zwar ein globales Problem, die Auswirkungen manifestieren sich aber lokal auf vielfältige Weisen. Österreich hat etwa mit seinem Anteil an den Alpen andere Bedürfnisse als andere Länder. Darum wollten wir eine Landkarte der einschlägigen Forschung in Österreich anfertigen. Zum einen, um zu zeigen, was wir wissen und was wir nicht wissen. Zum anderen, um herauszuarbeiten, wer welche Kompetenzen hat, die in der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel relevant sind. Jedes Land sollte das für sich machen.

STANDARD: Wo liegt aus Ihrer Sicht der größte Forschungsbedarf in Österreich?

Wotawa: Besonders wichtig ist eine interdisziplinäre Herangehensweise. Der Klimawandel ist ein physikalisches Faktum. Dieses Faktum zieht eine ganze Reihe an Herausforderungen nach sich, die andere wissenschaftliche Disziplinen betreffen. Im Gesundheitsbereich, in den Sozialwissenschaften oder in der Wirtschaft entstehen neue Problemstellungen: neue Risiken, denen man begegnen muss, aber auch Entwicklungsmöglichkeiten. Die notwendigen Veränderungen bieten auch Chancen für den Technologiestandort Österreich, bei Elektromobilität oder Solarenergie Entwicklungen vorwegzunehmen.

STANDARD: Wie kann diese Interdisziplinarität aussehen?

Wotawa: Globale Modelle für das Klima und seine Auswirkungen müssen auf kleinräumigere Skalen heruntergebrochen werden. Die Datensätze müssen an den Universitäten für eine gemeinsame Nutzung zugänglich gemacht werden, dafür braucht es entsprechende Infrastrukturen. Der eine Forschungsbereich muss auf den Erkenntnissen des anderen aufbauen können.

STANDARD: Wie können die Erkenntnisse ihren Weg in die Praxis finden?

Wotawa: Man muss das Wissen dort hinbringen, wo die betroffenen Bürger und Akteure sind. Das können Bürgermeister sein, Manager von Skigebieten oder die Straßenmeisterei. Sie müssen jeweils auf ihre Art auf Veränderungen der Umwelt reagieren. Man muss kleinräumige Aussagen treffen können und Wissen so übersetzen, dass es für die Allgemeinheit verständlich ist.

STANDARD: Sie haben die besondere Situation Österreichs als Alpenland genannt. Welche Erfordernisse resultieren daraus?

Wotawa: Es gibt ganz direkte Auswirkungen: Gletscherschwund und Rückgang des alpinen Permafrosts haben etwa zur Folge, dass Steinschichten instabil werden und Felsstürze häufiger werden – ein Problem für manche Skigebiete. Aufgrund des komplexen Geländes gibt es zudem besondere Anforderungen an die Simulation von Wetterereignissen. Wir müssen zum Beispiel vorhersagen können, wie sich in zehn, zwanzig Jahren Extremwetterereignisse entwickeln werden. Die globalen Klimamodelle, die Jahrzehnte in die Zukunft rechnen, haben eine viel zu grobmaschige Auflösung, um die lokalen Situationen in den Alpen abzubilden.

STANDARD: Welche Konsequenzen sollten wir aus der Zunahme von Hitzewellen ziehen?

Wotawa: Sommerliche Hitzephasen, in denen die Nachttemperaturen mehrere Tage nicht unter 25 Grad sinken, werden zunehmen. Das kann zu einer Reihe gesundheitlicher Probleme führen. Hier spielen demografische und soziale Aspekte mit. Ältere Leute mit schwacher Gesundheit, die sich keine Klimatisierung leisten können, sind besonders stark betroffen. Die Simulationen, die uns zur Verfügung stehen, zeigen ab 2050 eine drastische Zunahme derartiger heißer Wetterlagen. Medizinische Modelle lassen auf eine mögliche Verzehnfachung der Todesfälle schließen. Unser medizinisches System könnte an die Grenzen der Belastbarkeit gelangen.

STANDARD: Wie sieht es mit Unwetterfolgen aus?

Wotawa: Kleinräumige sommerliche Extremereignisse wie Gewitter, Hagel oder lokale Tornados sind anders als große Fronten mit dem vorhandenen Messnetz nur schwer erfassbar. Sie treten je nach Region oder Jahreszeit sehr unregelmäßig auf. Die Herausforderung ist, sie dennoch richtig vorherzusagen. Neben der Fernerkundung per Radar oder Satellitenaufnahmen ist es auch wichtig, neue Datenquellen anzuzapfen. Das könnten Meldungen zu Unwetterschäden sein, die bei Versicherungen oder Behörden zusammenlaufen. Zusätzlich zu den 300 Wetterstationen im Land verbessern sie die Einblicke in die Unwetterdynamik.

STANDARD: An wen richtet sich der österreichische Science-Plan?

Wotawa: Beiträge von etwa 80 Wissenschaftern wurden in einem mehrjährigen Prozess gesammelt, reviewt und gewichtet. Ein Hauptadressat ist die Climate-Change-Center-Community selbst. Die eine Disziplin muss wissen, was die andere produziert. Schnittstellen müssen definiert sein, um die Wissenschaften zu vernetzen. Der Science-Plan soll zudem eine Richtschnur für heimische Förderstellen sein. Und natürlich ist auch die Öffentlichkeit, die sich über die Herausforderungen des Klimawandels informieren will, ein Adressat.

STANDARD: Nach wie vor sind viele Menschen nicht von der Realität der Erderwärmung überzeugt. Selbst die Politik ist nicht frei von Klimawandelleugnern. Wie soll man damit umgehen?

Wotawa: In Zukunft wollen wir uns noch wesentlich mehr im Bereich der Wissensvermittlung engagieren. Als wissenschaftliches Netzwerk geben wir keine politischen Kommentare ab. Aber uns ist wichtig, dass etwa auch in Wahlkampfzeiten diese wichtige Problematik außer Streit gestellt wird. Wir können anbieten zu erklären, was der Klimawandel für jeden Einzelnen bedeutet. (Alois Pumhösel, 1.6.2017)