Nnamdi Kanu ist heute der prominenteste Verfechter eines unabhängigen Biafra. Der brutale Krieg um die ölreiche Biafra-Region spaltete genau vor 50 Jahren Nigeria.

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Paul Ikenna Ede huscht ein Lächeln über die Lippen. Der 30-Jährige hat gerade sein Philosophiestudium abgeschlossen und will in ein paar Monaten Theologie studieren. Derzeit arbeitet er in einem katholischen Gästehaus in Enugu, einer Großstadt im Südosten Nigerias. Am Montagmorgen ist wenig zu tun, sodass er Zeit hat, über sein Lieblingsthema zu sprechen: Biafra. "Das Wort weckt viele Gefühle in mir. Mit Biafra können wir für unsere Identität kämpfen." Der junge Mann, der der ethnischen Gruppe der Igbo angehört, geht noch einen Schritt weiter. Biafra, wie er seine Heimatregion nennt, soll sich vom Rest Nigerias abspalten.

Genau vor 50 Jahren war es schon einmal so weit. Am 30. Mai 1967 machte Chukwuemeka Odumegwu Ojukwu, ein damaliger Militärgouverneur, aus dem Südosten Nigerias die Republik Biafra. Mit eigener Währung, eigener Hymne und einer aufgehenden Sonne als Nationalsymbol. Sie taucht heute auf dem Lokalbier mit dem Namen Hero auf.

Vorausgegangen waren 1966 zwei Staatsstreiche und ethnische Ausschreitungen mit zehntausenden Toten. Ermordet wurden einerseits Igbo, die als Händler in den muslimisch geprägten Norden gegangen waren. Im Südosten, in dem hauptsächlich Christen leben, kam es wiederum zu Angriffen auf die Gruppe der Haussa, die aus dem Norden stammen. Es folgte ein Bürgerkrieg, der bis Jänner 1970 bis zu 2,5 Millionen Opfer forderte. Vor allem die Bilder von hungernden Kindern entsetzten damals die Welt.

Soziale Ungleichheit

Darüber spricht heute von den Befürwortern niemand mehr. Neben der Frage nach der eigenen Identität treibt sie das Gefühl von sozialer Ungleichheit an. Die Ölgelder des Südens fließen in den Norden. Die Eliten dieses Landesteils reißen auch unter Präsident Muhammadu Buhari wieder alle politische Macht an sich, so lauten die Vorwürfe.

Mit diesen Argumenten spielen auch die Anführer der neuen Biafra-Bewegungen. Der bekannteste unter ihnen ist Nnamdi Kanu. Der Anführer der Ipob (Indigenous People of Biafra) saß bis vor ein paar Wochen unter anderem wegen Verschwörung im Gefängnis und kam nur gegen Kaution auf freien Fuß. Er und seine Bewegung werden genau vom Staat beobachtet. Gerade wurden nach Polizeiinformationen erneut Anhänger von Ipob und Massob – so lautet die Abkürzung für die zweite Biafra-Gruppierung, die "Neue Bewegung für einen unabhängigen Staat Biafra" – im Nachbarbundesstaat Ebonyi verhaftet. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte vergangenes Jahr mehrfach gegen den harschen Umgang mit den Unabhängigkeitsbefürwortern protestiert. Viele Mitglieder der Bewegung mussten untertauchen und arbeiten aus dem Untergrund.

Kanu selbst wohnt derzeit in Umuahia, zwei Stunden südlich von Enugu, bei seiner Familie. Auf dem großen Grundstück, das von einem hohen Zaun umgeben ist, warten zahlreiche Anhänger. Der 30-jährige Paul Ikenna Ede bezeichnet ihn als "Propheten" und sagt: "Er ist mutig und klar und übt keine Gewalt aus." Dazu ruft er tatsächlich nicht auf. Wohl klagt aber auch er über die Benachteiligung der Igbo und spielt mit der Angst, etwa vor den Muslimen und dem Norden Nigerias. "Wenn wir heute in Städten wie Kano unsere Religion ausüben wollen, werden wir umgebracht." Kanu, der vor seinem großen Selbstporträt sitzt, nennt weitere Beispiele der systematischen Unterdrückung: Worüber er jedoch nicht spricht, ist, wie sich eine mögliche Spaltung überhaupt gestalten könnte und ob er sich damit auf Rückhalt in der Gesellschaft stützen kann. Verlässliche Zahlen, wie viele Menschen im Südosten die Idee der Unabhängigkeit gutheißen, gibt es nicht.

Konferenz zu Biafra

Wenige Tage später ist genau diese Schwammigkeit auch die große Hoffnung in der Hauptstadt Abuja. Dort findet, so betonen mehrere Redner, die erste echte Konferenz zu Biafra seit dem Bürgerkrieg statt. Nicht nur der Jahrestag, sondern auch die lauter werdenden Pro-Stimmen hätten sie nötig gemacht. Zu den prominentesten Rednern gehört Altpräsident Olusegun Obasanjo, der als Offizier für die nigerianischen Truppen in den Biafra-Krieg zog. Er weiß, dass die Einheit Nigerias eine schwer erkämpfte und von der einstigen Kolonialmacht Großbritannien konstruierte ist. Trotzdem wirbt er für die Nation: "Man muss Nigeria wie eine Liebesaffäre behandeln. Man muss zusammenkommen und Lösungen finden. Zu Nigeria gibt es keine Alternative."

In Enugu kann indes Paul Ikenna Ede nur den Kopf darüber schütteln. Für eines will er zwar sorgen. Krieg soll es für den neuen Staat nicht geben. "Trotzdem ist Biafra die Hoffnung", sagt er. (30.5.2017)