Der Mond war ziemlich sicher das Ergebnis einer Kollision, aber noch sind viele Details dazu offen.

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Als die Erde vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, hatte sie noch keinen Mond. Aber es hat dann nicht mehr lange gedauert, bis sich unser Begleiter gebildet hat. Er war das Resultat einer gewaltigen Kollision, bei der die Erde mit einem etwa marsgroßen Himmelskörper zusammenstieß. Dieser Himmelskörper hat auch einen Namen bekommen – "Theia" –, mehr gibt es allerdings nicht mehr von ihm.

Er war einer der vielen Protoplaneten, die die chaotische Entstehungsphase des Sonnensystems nicht überlebten. Bei der Kollision haben sich Teile von Theia mit der Erde vermischt, andere Teile sind weit hinaus ins All geschleudert worden – und eine Mischung von Bruchstücken aus Erde und Theia hat den Mond gebildet.

Hypothesenvielfalt

Die Details dieser Theorie sind immer noch nicht geklärt, es gibt Unklarheiten über Herkunft und Zusammensetzung von Theia beziehungsweise über die Geometrie der Kollision. Diese Unklarheiten werden auch bleiben, solange wir keine besseren geologischen Daten vom Mond bekommen, und das wird erst passieren, wenn wir wieder Menschen und wissenschaftliche Instrumente zu unserem Nachbarn schicken. Aber wir wissen auf jeden Fall schon genug, um ziemlich sicher sein zu können, dass der Mond seine Existenz einer planetaren Kollision verdankt.

Die aktuelle Theorie zur Mondentstehung wurde in den 1970er-Jahren entwickelt, und es wird immer noch daran gearbeitet. Davor gab es jede Menge andere Hypothesen, die sich alle als falsch herausstellten. Eine davon war die "Abspaltungstheorie", die 1878 von George Darwin vorgelegt wurde. Der trägt nicht zufällig den Namen des bekannten Biologen: Charles Darwin war Georges Vater, der Sohn widmete sich aber lieber der Mathematik und der Astronomie als der Biologie. George Darwin untersuchte die Bewegung der Himmelskörper in unserem Sonnensystem, war aber wie sein berühmter Vater auch an der fernen Vergangenheit interessiert.

Fortgeschleuderter Trabant

Die Erde, so Darwin, habe sich früher viel schneller um ihre Achse gedreht als heute. Und sie sei deutlich wärmer gewesen als in der Gegenwart. Dieser junge glutflüssige Planet soll so schnell rotiert haben, dass sich ein Teil von ihm abgelöst habe und ins All geschleudert wurde – so sei der Mond entstanden. Darwins Hypothese konnte tatsächlich eine große Menge an Beobachtungen erklären: etwa warum die mittlere Dichte des Mondes ungefähr der mittleren Dichte des Materials entspricht, aus dem die Erdkruste besteht. Sie erklärte auch, warum die Erde entlang des Äquators ein wenig "ausgebeult" ist.

Der englische Geologe Osmond Fisher war der Ansicht, dass Darwins Hypothese sogar die Existenz des Pazifischen Ozeans erklären würde: Er sei die "Narbe", die bei der Ablösung des Mondes entstanden sei. Darwin konnte gar einen Mechanismus angeben, der die Rotation der Erde nach der Mondentstehung auf die heutige Geschwindigkeit verlangsamt haben könnte. Zwischen der Erde und dem neu gebildeten Mond würde nun eine starke Gezeitenkraft wirken, die einerseits dafür sorge, dass sich der Mond langsam von unserem Planeten entfernt, und die andererseits die Rotation der Erde bremse.

Richtige Herangehensweise

Mit den Auswirkungen der Gezeiten auf die Erdrotation hatte Darwin recht. Der Rest ist allerdings falsch. Der Pazifik entstand durch die Plattentektonik. Und wenn die Erde früher zwar tatsächlich wärmer war und sich schneller drehte als heute, war sie doch niemals so heiß und so schnell, als dass sich ein flüssiger Mond hätte ablösen können.

Aber auch wenn sich George Darwins Hypothese zur Mondentstehung als falsch erwiesen hat, war sie doch wichtig. Er war der Erste, der mit mathematischen Methoden und mit wissenschaftlichen Argumenten eine plausible Vorstellung über den Ursprung des Mondes veröffentlichte. Seine Hypothese war überprüfbar, und die Erkenntnisse der folgenden Jahrzehnte zeigten, dass sie dieser Überprüfung nicht standhalten konnte. Es folgten neue Hypothesen anderer Astronomen, die im Laufe der Zeit ebenfalls aussortiert werden mussten, da sie mit neueren Beobachtungsdaten nicht übereinstimmten.

Wachsende Datenbestände

Die Kollisionstheorie hält sich immerhin schon seit 1975. Seit damals haben etliche Raumsonden die Planeten, Monde und Asteroiden besucht, und wir haben eine enorme Menge an Daten über die Frühzeit des Sonnensystems und die Eigenschaften seiner Himmelskörper gesammelt. Die immer besseren Computer erlauben immer bessere Simulationen von Kollisionen zwischen Himmelskörpern aller Art.

Die Beobachtung der Planeten anderer Sterne hat uns gezeigt, welche Prozesse dort ablaufen – und auch früher bei uns abgelaufen sein können. Wir haben Hinweise gefunden, die bestätigen, dass es früher mehr Planeten im Sonnensystem gegeben hat als heute, wir haben die Spuren großer Kollisionen bei uns entdeckt und auch in extrasolaren Planetensystemen. Wir haben geologische Untersuchungen auf dem Mond angestellt, auf dem Mars, auf Asteroiden und Kometen.

Lob der Überraschung

Wir haben enorm viel gelernt, und die in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse haben einerseits für viele Modifikationen an der Kollisionstheorie gesorgt, andererseits aber auch immer wieder bestätigt, dass der planetare Zusammenstoß zwischen Erde und Theia die beste Erklärung für den Ursprung des Mondes darstellt.

George Darwins falsche Hypothese der Mondentstehung hat uns eine wichtige Eigenschaft der wissenschaftlichen Methode gezeigt. Es gibt hier keinen unverrückbaren Status quo, es gibt keine absolute Erkenntnis. Die Wissenschaft befindet sich in einem ständigen Wandel, sie ist immer auf der Suche nach einer noch besseren Theorie, mit der sich die Natur noch genauer beschreiben lässt.

Und Darwin hält noch eine Lektion für uns bereit: Auch wenn der derzeitige Stand des Wissens eine Hypothese äußerst plausibel erscheinen lässt, kann sich das in der Zukunft ändern. Das bedeutet natürlich nicht, dass alles möglich ist – immerhin ist die Wissenschaft ja auch in der Lage, Dinge zweifelsfrei zu falsifizieren. Es wäre sehr überraschend, wenn der Mond nicht durch eine Kollision entstanden wäre. Aber die Wissenschaft ist eigentlich immer dann am besten, wenn sie uns überrascht! (Florian Freistetter, 30.5.2017)