Die doppelte Struktur des Stücks schlägt sich auch im Bühnenbild nieder: Über dem Krankenbett zu ebener Erde reflektieren zwei junge Revolutionäre über den Konflikt in Syrien. Analyse braucht Abstand.

Foto: Didier Nadeau

Wien – In der heuer so auf das Andersartige bedachten Auswahl der Festwochen-Kuratoren stellt Während ich wartete von Omar Abusaada und Mohammad Al Attar den bisher konventionellsten Theaterbeitrag dar. Seit 2007 arbeiten der syrische Regisseur und der ebenfalls syrische Dramatiker zusammen an Stücken zwischen Dokumentation und Fiktion. Dieses hat zwei Ebenen: In einer Familiengeschichte schlägt sich die Syrien-Krise nieder.

Politisches im Privaten

Ein Krankenbett wird zum Zentrum des Beziehungsgeflechts. Darum herum versammeln sich Familie und Freunde des im Koma liegenden Taym. Die Ursache für den Zwischenfall, der den jungen Mann hierhergebracht hat, ist nicht ganz klar: Ein Drogenstreit oder ein Angriff der Geheimpolizei stehen im Raum.

Denn er hat in seiner Heimatstadt Damaskus seit längerem die Demonstrationen gegen Machthaber Bashar al-Assad gefilmt. Der junge Revolutionär entschied sich für die Dokumentation des Aufstands, während seine Freunde zu Waffengewalt griffen.

Für den einen Erzählstrang von einem leeren Bett vertreten, wandert der Komatöse in einer anderen Erzählebene auf der Bühne herum und berichtet diese Vorgeschichte. Wir lernen dabei einen seiner Mitstreiter kennen, der sich dann zum IS hin radikalisiert hat und inzwischen vor dessen brutaler Grausamkeit zurückschreckt. Warum der IS? Weil alle anderen, auch die ausländischen Kriegsteilnehmer, Eigeninteressen verträten. Jetzt will er DJ werden.

Auf einem Gerüst agierend reflektieren die beiden, dem Krankenzimmer zu ebener Erde enthoben. Das ist der einzige Kniff der sonst geraden, schmucklos realistischen Inszenierung.

Auch familiäre Kofliktfelder

Nicht nur der politische Konflikt schlägt sich aber in allen Figuren nieder. Tayms Schwester ist aus Beirut zum im Koma Liegenden heimgekehrt. In den Libanon war sie nicht zuletzt gegangen, um der starken familiären Kontrolle und Abhängigkeit zu entkommen. Und dem Kopftuch. Aber wirklich etwas anzufangen wusste sie mit sich in dieser Freiheit nicht. Zurückgekehrt, wirft sie der Heimat und einem weiteren Mitstreiter des Bruders Resignation vor, schnorrt aber selbst Haschisch von ihm. Mit Essen gewinnt die Mutter die Tochter nun wieder.

So mäandert der Abend zwischen Hoffnung und Enttäuschung, Wille und Mutlosigkeit, Familienporzellan und Politruinen. Letztere ziehen als Aufnahmen Tayms über eine Wand, in dem noch nicht fertiggestellten Film wollte er sie mit der Liebesgeschichte seiner Eltern verschränken – eine Doppelstruktur, wie die, der Während ich wartete folgt.

Warten auf Künstler

Abusaada und Al Attar werfen einen umschauenden Blick auf das Leben im von den Umständen geprägten Syrien. Die Bedeutung von Handy und Internet für die Aufständischen wird angesprochen. Dass die Mutter den Sohn als ihr durch die Filmerei von der Revolution gestohlen fühlt und seinen Protest aus Sorge nicht goutiert, lässt sich verstehen. Das Koma kann auch Metapher sein.

Eine Abtreibung bei Tayms Freundin scheint dagegen wie in billiger Soapmanier dazugepackt. Zuerst störend und unnötig, folgt sie aber daraus, dass es dem Stück auch um ein Land zwischen Tradition und nächster Generation geht. So findet manches den Weg hinein, das erst vor diesem sozialen Hintergrund und Wandel seinen ganzen Sinn einlöst.

Einziger Einwand: Musste – ausgerechnet angesichts des hehren Anliegens – die formale Seite so ohne einen einzigen überzeugenden und packenden Moment ausfallen?

Die Aufführungsserie in Wien endet am Freitag. Seit einem Jahr tourt die Produktion durch Europa. Die Besetzung wechselt, etwa weil manche Darsteller in Asylverfahren stecken. Auch die Festwochen selbst würden immer noch auf Visapapiere für in den nächsten Wochen auftretende Künstler und Redner warten, erfuhr man am Rande einer Aufführung. (Michael Wurmitzer, 26.5.2017)