Harald Kerner, Techniker im Haupt- und Autoersatzteilhändler im Nebenberuf. Sein Firmensitz ist eine Lagerhalle in Bad Vöslau,

Christian Eiselt

Spezialisiert hat sich der Techniker auf "bedürfnisorientierten" Ersatzteilhandel von französischen Oldtimern.

Christian Eiselt

Kerners Ziel am Beispiel der Ente: "Als Kleiner in der Suppe der Großen umrühren."

Christian Eiselt

Um den Ruf des Autos steht es nicht gut: Einst als zivilisatorische Glanzleistung gefeiert, wird es heute als Klimakiller geschmäht. Was hilft da die (vermeintliche) Imagepolitur durch Tesla und Co? Spätestens seit der Enthüllung von VWs unsauberer Geschäftspraxis muss das Auto als Sinnbild des Turbokapitalismus herhalten.

Harald Kerner aus Niederösterreich wird daran nichts ändern können – der Mann ist nicht Napoleon. Den Vergleich muss er sich dennoch gefallen lassen. "Der Korse" lautet schließlich der Name seines Ein-Mann-Unternehmens, mit dem er sich auf die Fertigung und den Vertrieb von Ersatzteilen für französische Oldtimer spezialisiert hat.

Ersatzteilspezialist

Firmensitz ist eine Lagerhalle in Bad Vöslau im Bezirk Baden. Unter der fast drei Stock hohen Decke aus Industrieglas lagern allerhand Gebrauchtteile, Getriebe, Motoren und Karosserien. An den Wänden hängt Spezialgerät, in der Mitte des Raumes befindet sich eine Hebebühne. Von hier aus verfolgt der Ersatzteilspezialist nichts Geringeres als die "Überwindung der alles erdrückenden Marktlogik".

Die provokante Parole des Firmengründers beruht auf der Annahme eines fundamentalen Fehlers im Wirtschaftssystem: Profitmaximierung. Erst die kapitalistische Prämisse vom Gewinn mache die verheerenden Entgleisungen in der Finanz- und Wirtschaftswelt möglich, glaubt er. "Es ist naiv zu glauben, dass die handelnden Personen böse und unmoralisch sind. Im Gegenteil, nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten agieren sie meist einwandfrei", stellt Harald klar. Eben im System liege der Hund begraben.

Bedürfnis statt Nachfrage

Mit dem "Korsen" will der 41-Jährige weg von der ökonomischen Nachfrage hin zum gebrauchsorientierten Bedürfnis. Damit folgt er dem Prinzip der solidarischen Ökonomie, was so viel wie Wirtschaften ohne Gewinnabsicht bedeutet. Ziel ist der sinnvolle Umgang mit Ressourcen.

Wer beim "Korsen" ordert, entrichtet für das Produkt nur den Warenwert plus 25 Prozent Selbst- und Betriebskosten, die für Harald Kerner anfallen. Gewinnzuschlag gibt es keinen. Verkauft Kerner von einem Ersatzteil insgesamt mehr als ursprünglich kalkuliert, wird es für die Kunden billiger, der Betriebskostenanteil sinkt.

Anders als beim herkömmlichen Verkaufsmodell steht nicht das Gewinnmachen, sondern das Bedürfnis am Beginn des Produktionsprozesses. Vor mittlerweile vier Jahren hat sich Kerner das Konzept aus der Landwirtschaft abgeschaut. Mit der ebenso simplen wie originellen Idee, dass es auch im Autoersatzteilhandel erfolgreich anwendbar sein müsse.

2CV von Citroën

Der "Korse" bedient vor allem das Modell 2CV von Citroën, im Volksmund "Ente" genannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg für die französische Landbevölkerung entwickelt, avancierte sie in den 1960er-Jahren zum Markenzeichen von Studenten und Nonkonformisten.

Als drolliger Oldtimer mit Kultstatus erfreut sie sich ungebrochener, sogar steigender Beliebtheit. Harald Kerner, selbst vierfacher Enten-Besitzer, begrüßt den Hype und stellt ihn zugleich offen infrage: "Im Gegensatz zu früher wird die Ente heute überwiegend von der besserverdienenden Mittelschicht gefahren. Ärzte und Anwälte etwa, die mit dem Hippie-Mythos kokettieren. Die Einstellung ist sicherlich eine andere als damals."

Fürs "Geschäft" ist das einerlei, zumal es so oder so schwierig bleibt. Der Markt, den es zu überwinden gilt – und von dem man doch abhängt – ist hierzulande ein sehr kleiner. Im Preis unterbietet Kerner die internationale Konkurrenz deutlich. Dennoch sei es schwierig, wahrgenommen zu werden, sagt er.

Die größeren Ersatzteilhändler seien "mustergültig gewinnorientiert" und haben etliche Angestellte. Einer der prominentesten heißt "Der Franzose". Findigerweise liest sich gerade an dessen Namen das Credo des "Korsen" ab: "Als Kleiner in der Suppe der Großen umrühren", wie es Harald Kerner schmunzelnd beschreibt.

Mikrofilmlesegerät

Das funktioniert nur durch Spezialistentum. Davon zeugt ein Mikrofilmlesegerät, mit dem Kerner die Originalteilekataloge aus den 1970er- und 1980er-Jahren studiert. Damals, in prä-digitalen Zeiten, verfilmten Autohersteller die Aufstellungen sämtlicher Einzelteile noch. Vergrößert machen sie die Evolution von Ente, Ami und Dyane nachvollziehbar.

Haralds Projekt verlangt ein gehöriges Maß an Idealismus. Dennoch schätzt er die Wirksamkeit seiner Tätigkeit nüchtern ein: "Den meisten Kunden ist der solidarische Gedanke wurscht." Man kann sich jenen Unbekümmerten gut vorstellen, der über die kapitalismuskritischen Traktate auf der Homepage des "Korsen" stutzt – er will doch nur einen neuen Vergaser bestellen. Tatsächlich ist Bewusstseinsbildung nur der zweite Schritt in Harald Kerners Unternehmenskonzept. Erst einmal müsse das Ding richtig laufen und er davon leben können.

Noch sichert ihm der "Korse" allein das Auskommen nicht. Das ist an sich nicht ungewöhnlich. Dass Harald Kerner im Brotberuf als Techniker für einen global konkurrierenden Konzern arbeitet, hingegen schon. Dabei rührt gerade daher sein nachhaltiger Veränderungswille. Die weithin unbeachteten "Absurditäten der Wirtschaftswelt", wie er sie nennt, erlebt er in der Arbeit tagtäglich. Der Autoersatzteilbauer zitiert Brecht: "Unsichtbar wird der Wahnsinn, wenn er genügend große Ausmaße annimmt."

Marx in der Autowerkstatt

Was nach "Marx in der Autowerkstatt" klingt, ist letztlich nur der Wunsch zu zeigen, dass man einen Betrieb alternativ führen kann. Und bei all den hehren Zielen ist der "Korse" für Harald Kerner auch schlichtweg Hobby. Seit bald zwei Jahrzehnten beschäftigt er sich mit Oldtimern. Sollte das unternehmerische Experiment misslingen, wäre das keineswegs das Ende. Das Paradoxon antimaterialistischer Autoleidenschaft würde bleiben.

Harald Kerners Alltagsauto gilt übrigens als Youngtimer: ein Renault R5, Baujahr 1983. Der "Spatz von Paris", wie er damals beworben wurde, kann mit der Ente in Sachen Kultfaktor nicht mithalten. Harald kümmert das freilich nicht. Er gebraucht ihn ohnedies selten.

Wenn nur irgendwie möglich, benutze er öffentliche Verkehrsmittel, erklärt der Autoersatzteilbauer. Und ironiefrei setzt er hinzu: "Am allerliebsten gehe ich überhaupt zu Fuß." (Markus Grill, 27.5.2017)