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Eigentlich hätte das alles erst 2023 publik werden dürfen, aber die rigiden Nachlassbestimmungen wurden in den letzten zwanzig Jahren zusehends gelockert. Ingeborg Bachmann 1971, zwei Jahre vor ihrem Tod und neun Jahre nach der Trennung von Max Frisch.

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Ingeborg Bachmann, "Male oscuro. Aufzeichnungen aus der Krankheit". € 35,00 / 259 Seiten, Piper-Verlag und Suhrkamp Verlag 2017

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Ingeborg Bachmann, "Das Buch Goldmann". € 37,10 / 459 Seiten. Piper-Verlag und Suhrkamp- Verlag, 2017

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Hans Höller/ Arturo Larcati, "Ingeborg Bachmanns Winterreise nach Prag". € 18,50 / 173 Seiten. Piper-Verlag, München/Berlin 2016

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"Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht." Das schreibt Max Frisch 1975 in seiner autobiografischen Prosa Montauk. Ingeborg Bachmann war da schon zwei Jahre tot. Zum letzten Mal haben sie einander 1963 in einem römischen Café gesehen, Frisch erwähnt es schonungslos beiläufig, es war längst alles gesagt. Nur was heißt "beide"? Von 1958 an waren sie ein Paar, bis er die Beziehung – sie war problematisch genug – 1962 beendete. Sie erlebte einen Zusammenbruch, mehrere Klinikaufenthalte folgten. Irgendwann, schon Jahre später, schrieb sie: "Das Leben ist zu Ende, schön war es nicht." Die Krise, in die sie durch die Trennung geraten war, hat sie Mitte der 1960er in Aufzeichnungen festgehalten, private, der Krankheit geschuldete Notate, die nach ihrem Tod ebenso unter Verschluss blieben wie Tagebücher und Korrespondenz, darunter die Briefe, die sie mit Frisch wechselte.

Eigentlich hätte das alles erst 2023 publik werden dürfen, aber die rigiden Nachlassbestimmungen wurden in den letzten zwanzig Jahren zusehends gelockert. 2015 übergaben Bachmanns Erben Kopien des in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrten und teilweise gesperrten Nachlasses an ein Editorenteam der Salzburger Universität, um eine vollständige neue Werkausgabe zu initiieren.

Angesichts der nicht zu unterschätzenden Zahl unveröffentlichter Texte und vor allem der umfangreichen Korrespondenz ist diese auch notwendig und dringlich. Trotzdem überrascht der Auftakt: Male oscuro, der zu Jahresbeginn erschienene erste Band, ist ein einziges Protokoll der Krise. Für Bachmann war das Ende der Beziehung zu Frisch die "größte Niederlage" ihres Lebens, eine "Katastrophe", schrieb sie 1964, seither sei die Welt für sie "auseinandergefallen". Sie zerbrach daran, wurde medikamentensüchtig, ihr ganzes letztes Lebensjahrzehnt blieb davon überschattet.

Die Aufzeichnungen am Höhepunkt der Krise legte sie unter dem Titel Traumnotate ab. Tatsächlich hält sie darin, vermutlich im Auftrag ihres Therapeuten, ihre Träume fest. "Heute nacht ein Traum über Schreiben, zweifellos ein Dilemmatraum", heißt es einmal. "Sehr konfuser Traum", beginnt eine andere Schilderung. Die beiden Editorinnen haben die insgesamt 19 Notate mit Briefen und Briefentwürfen aus dem Umkreis ergänzt und ein weiteres Manuskript, den Versuch einer Rede an die behandelnden Ärzte, hinzugefügt. Wir haben es also mit mehreren unterschiedlichen Texten und Textsorten zu tun, die nur dieser Kontext eint, ihre Privatheit, ihre zeitliche und inhaltliche Nähe. Literatur sind sie nur teilweise und bedingt.

Dass sie zu einem Konvolut zusammengefügt sind, das nie so zusammengefügt war, erscheint auf den ersten Blick editorisch fragwürdig. Die 28 Texte bildeten nie eine Einheit, schon gar nicht unter einem Titel Aufzeichnungen aus der Krankheit. Vielmehr stellt diese Sammlung ein biografisches Material dar. Eine so großangelegte und erwartungsvolle Werkedition ausgerechnet mit privaten Aufzeichnungen, Entwürfen, Fragmenten zu beginnen, ist also mehr als mutig. Auch der Titel Male oscuro, was so viel wie dunkles Übel heißt, stammt nicht von Ingeborg Bachmann, sondern ist aus einem der Texte entlehnt.

Deren Bedeutsamkeit liegt zweifellos im Kontext von Biografie und Werk, zuallererst sind sie Dokumente zur Krankengeschichte und Psychiatrieerfahrung der Autorin. Die "Krankheit" zieht sich jahrelang hin und äußert sich in Angstanfällen, Panikattacken, Ohnmachtsgefühlen, aber auch in Hass und Wut, und immer wieder kommt es zu Zusammenbrüchen.

Einen dieser Anfälle beschreibt sie anschaulich in einem Fragment: Mit einem "Herrn B." geht sie vergnügt in eine Trattoria essen. Nach kurzer Zeit merkt sie, sie kann nicht mehr zuhören, fängt zu zittern an, sucht nervös nach einer Tablette, kann nicht mehr reden, Übelkeit, schließlich Angst, verrückt zu werden, eine "unbeschreibliche Panik". Solche Situationen erlebt sie häufig, sie weiß, es handelt sich um eine endogene Depression – "und seither bleibt mir das Wort im Mund stecken [...]. Denn wir machen uns keine Vorstellung von der Krankheit, die mit Recht diesen Namen trägt."

Die Vernetzung der einzelnen Textfragmente mit dem literarisch-biografischen Kontext ist gewiss eine editorische Meisterleistung, die auch bereits die sorgfältige Planung dieser Werkausgabe erkennen lässt. So überraschend der Auftakt sein mag, es ist hier nichts dem Zufall überlassen: Im Vorjahr erschien bei Piper, quasi als Ouvertüre, Ingeborg Bachmanns Winterreise nach Prag, in der Hans Höller und Arturo Lacarti der Entstehungsgeschichte ihres berühmtesten und schönsten Gedichtes, "Böhmen liegt am Meer", nachgehen und den gesamten, in der alten Werkausgabe nicht veröffentlichten Gedichtzyklus, versehen mit einem umfassenden lebens- und werkgeschichtlichen Kommentar, zugänglich machen.

Therapieversuch in Eigenregie

Die Prag-Reise fällt übrigens in die Phase der Krankheit und war einer von Bachmanns Therapieversuchen in Eigenregie. Aber auch in Prag erlebte sie einen Zusammenbruch und musste in eine Klinik, aus der sie mit einem "hoffnungslosen" Krankheitsbefund entlassen wurde. Dennoch gibt es immer wieder Phasen von geradezu unerhörter literarischer Produktivität.

Auch der zweite, im Mai erschienene Band der Werkausgabe gehört in den Umkreis der Lebenskrise. Das Buch Goldmann ist Teil des "Todesarten"-Projekts, jener Romantrilogie, mit der Bachmann die letzten zehn Jahre ihres Lebens beschäftigt war und von der sie 1971 nur den ersten Band, Malina, noch veröffentlichen konnte. Das Buch Goldmann, an dem sie im Jahr vor der Prag-Reise zu arbeiten begann, hätte als Nächstes folgen sollen. In der Werkausgabe 1978 erschien nur ein Teil des unfertigen Manuskripts, eine kritische Edition erfolgte 1995. Obwohl fehlende Korrekturen und Lücken im Text das Leseerlebnis beeinträchtigen, hätte sich Das Buch Goldmann, eine rhythmische, sprachschöne Prosa, die nötige Aufmerksamkeit verdient, ist es doch in erster Linie ein österreichischer Zeitroman, in dem es noch viel zu entdecken gibt.

Fanny Goldmann, eine Schauspielerin, ist die Frau eines österreichischen Juden, der nach Amerika flüchten konnte und 1945 nach Österreich zurückkehrt. Eine Rückkehr, die scheitert, weil die Wiener Gesellschaft nicht bereit ist, sich mit dem stattgefundenen Bruch der Geschichte auseinanderzusetzen. Das klingt ein wenig nach erzählerischem Paralleltext zu Alexander und Margarethe Mitscherlichs Essayband Die Unfähigkeit zu trauern, der jedoch erst 1967 erschien. Immerhin zeichnet Bachmann das Bild eines Nachkriegswien, das sie selbst erlebte, nicht nur Örtlichkeiten, auch Menschen, und zwar in einer Abgründigkeit, die den Erzähler fast ohnmächtig mit einer "unerzählbaren Geschichte" zurücklässt. Erzählt muss trotzdem werden, "damit", wie es ganz zum Schluss heißt, "eine Ahnung von dem wach wird, was wirklich geschehen ist". Erzählt wird aber auch von der psychischen Verletzung und der Gewalt der Sucht.

Genau das verbindet den Roman mit den Traumnotaten und der Winterreise nach Prag. Man muss alle drei Bücher im Kontext lesen, dann sieht man die ganze tatsächliche "Katastrophe", die die letzten zehn Jahre von Bachmanns Leben und Schreiben bestimmte. Dramatischer hätte diese Werkausgabe also nicht beginnen können, so intensiv wurde die Verzweiflung am Ende ihres Lebens noch nie beleuchtet: eine Autorin, die zerstört wurde und sich selbst zerstört hat, die nicht aufgab und weiterschrieb und dennoch aus der Krankheit nie mehr herauskam und um diese Vergeblichkeit wusste. Oder wie Höller/Larcati schreiben: "Seit Ende 1962 ist alles brüchig geworden, und nichts mehr wird im Leben heil."(Gerhard Zeillinger, 28.5.2017)