Mit den Zeiten ändern sich Modeströmungen, Schönheitsideale und Vorstellungen von Idylle. Zwischen Fischerdorf und Strandkorb liegen der Lagune Geheimnisse.

Foto: Postkarte aus den 1950er-Jahren. Brandstätter-Verlag

Peter Weinhäupl (Hg.) & Manfred Bockelmann, "Grado". € 49,90 / 224 Seiten. Christian-Brandstätter-Verlag, Wien 2017

Foto: Brandstätter

Nostalgie, das bezeichnet eine sehnsuchtsvolle Hinwendung zur Vergangenheit, zu vergangenen Gegenständen oder Praktiken. Nostalgie kann sich sowohl auf das eigene Leben beziehen als auch auf nicht selbst erlebte Zeiten, die sogenannte kollektive Nostalgie. Das Wort selbst leitet sich von den zwei griechischen Wörtern nóstos (Rückkehr, Heimkehr) und álgos (Schmerz) sowie dem Wort nostalgia (Heimweh) ab.

In diesem Sinne beschreibt Peter Weinhäupl eine Art wehmütige Rückkehr nach Arkadien, er begibt sich auf die Suche nach dem verlorenen Paradies, eine diffuse Sehnsucht nach dem idealen Leben in Frieden und Freiheit stillend. Der Sehnsuchtsort seines Vertrauens liegt naturgemäß an den Gestaden des Mittelmeers, genauer gesagt am Adriatischen Meer, in Italien. Weinhäupl zeichnet Grado als Synonym des mediterranen Strandes schlechthin.

Aus dem Mythos Arkadien wurde in der Frühen Neuzeit die Vorstellung gewonnen, es sei Leben jenseits gesellschaftlicher Zwänge möglich. Dies waren in ihrem Kern politische Fantasien, die vom Hochadel geschürt wurden, der unter dem politischen Druck des sich stabilisierenden frühneuzeitlichen Staates aber unter erheblichen Disziplinierungsdruck geriet. Unter der Oberfläche dieses aristokratischen Eskapismus wurde die Idee einer individuellen Freiheit geboren und gewahrt, die zwar die Freiheit der Großadligen meinte, aber bereits seit dem 17. Jahrhundert in Mitteleuropa vom Bürgertum beerbt wurde.

In der ersten Liegestuhlreihe

Weinhäupl, renommierter Ausstellungskurator und Direktor der Klimt Foundation Wien 1900, betreibt in seiner opulenten, teilweise fast überladenen Monografie über Grado aktive Erinnerungsarbeit. Er beschreibt die Historie des mondänen Seebads, illustriert die kulturhistorische Bedeutung, geht der Frage nach dem ultimativen Abendland nach, oszillierend zwischen Melancholie und Augenzwinkern. Fotos aus der goldenen Ära des Fin de Siècle treten in Kontrast zu Schnappschüssen aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Bikini-Atolle von einst finden ihre Spiegelung in ätherischen Fotos von Weinhäupl himself und von Maler Manfred Bockelmann. Großen Raum nehmen die künstlerischen Exponate ein, die in, für oder durch Grado entstanden. In der ersten Liegestuhlreihe zu Pool und Strand, bildlich gesprochen, zu nennen ist hier der Wiener Secessionist Josef Maria Auchentaller, der das imaginäre Bild der Lagunenstadt bis heute geprägt hat.

Zugang zum Meer

Weinhäupl schlägt eine Brücke von den Etruskern zu den Römern, vom Jugendstil zu Fischerdorfidyllen, von aristokratischen Attitüden bis zu Paparazzi, Praterstrizzis und Hausmaster's Voice. Die Autoren Andreas Nödl, Wilfried Seipel, Marina Bressan, Roberto Festi und Peter Schubert gehen in sehr persönlichen Essays den Fragen nach, wie es wäre, wenn Österreich noch Zugang zum Meer hätte, wie die Uniformen einer k. u. k. Marine aussähen, wie viele älplerische Bahnwärterstöchter aus Herzmanovsky-Orlandos Zauberreich das mondäne Seebad ohne Weltkrieg bevölkert hätten und wie sich ihr Leben ohne pubertäre Erlebnisse an der Adria entwickelt hätte.

Im Endeffekt, in Wahrheit geht es doch eigentlich nur um den Mythos eines Ortes, um die Idee dahinter, das Image, die Illusion. Schließlich lebt der Charme des "dolce far niente" von Amore, Sole und Gelati al Limone. Denn oft hilft es, wie André Heller in einem alten Chanson sang, Kirschen auf dem Hut zu tragen, "einen Sommer zu beschwören ...". (Gregor Auenhammer, 27.5.2017)