Krankheitserreger wie Bakterien und Viren fordern das Immunsystem ununterbrochen heraus. Sie gelangen mit der Atemluft oder durch Kontakt mit Speichel, Blut oder anderen Sekreten in den Körper, wo sie das Immunsystem durch eine Vielzahl von Mechanismen erkennt und bekämpft. Meist gelingt es, die Infektion unter Kontrolle zu bringen und die Krankheitserreger zu eliminieren.

Doch Viren einer bestimmten Familie haben sich dem Immunsystem hervorragend angepasst und können nicht beseitigt werden: die Herpesviren. Sie verbleiben nach der Infektion lebenslang in ihrem Wirt. Ein Forschungsteam des deutschen Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig hat ein Protein von Herpesviren entdeckt, das die Immunabwehr gezielt ausschaltet und es den Viren so ermöglicht, im Körper zu überdauern. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher nun im Fachjournal PLOS Pathogens.

Unbekannte Mechanismen

Ein wichtiger Vertreter der Herpesviren ist das weit verbreitete Cytomegalievirus (CMV) – etwa die Hälfte der Bevölkerung trägt dieses Virus in sich. "Während einer Schwangerschaft ist eine akute CMV-Infektion der Mutter für das Kind im Mutterleib eine große Gefahr, da CMV auf den Fötus übertragen werden und schwere, lebenslange Schäden wie Taubheit und Mikrozephalie verursachen kann", sagt Melanie Brinkmann, Leiterin der Nachwuchsgruppe "Virale Immunmodulation" am HZI. Ein Impfstoff gegen CMV existiert bislang nicht, da die Mechanismen, wie dieses Virus die Immunantwort abschwächt, noch nicht vollständig aufgeklärt sind.

"Um CMV-Infektionen erfolgreich bekämpfen zu können, müssen wir jedoch im Detail verstehen, welche Schalthebel diese Viren betätigen, um unser Immunsystem auszutricksen", sagt Brinkmann.

Brinkmanns Forschungsgruppe hat nun ein bislang wenig charakterisiertes Protein von CMV identifiziert, das die antivirale Immunantwort schon wenige Minuten nach der Infektion außer Gefecht setzt. Das Protein mit dem Namen "M35" wird bei einer Infektion zusammen mit dem Viruspartikel direkt in die Zellen des Wirts eingeschleust. In der infizierten Zelle steuert es zielgerichtet den Zellkern – die Schaltzentrale der Zelle – an und blockiert dort die antivirale Immunantwort.

Auf M35 sind die Wissenschaftler durch das Screening von CMV-Proteinen gestoßen. Anschließend haben sie das M35-Protein im Labor genauer charakterisiert. Mittels genetisch veränderter Viren haben sie an Mäusen herausgefunden, dass CMV vom Immunsystem besser kontrolliert wird, wenn dem Viruspartikel M35 fehlt.

Wettlauf mit der Zeit

"Unsere Arbeit zeigt, dass CMV sofort nach Eintritt in den Wirtsorganismus Maßnahmen ergreifen muss, um die Immunantwort abzuschwächen", sagt Brinkmann. "Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, den CMV eindeutig gewinnt. Wir konnten zeigen, dass das Protein M35 essenziell dafür ist, dass CMV dieses Wettrennen gewinnt. Damit spielt es eine entscheidende Rolle für die erfolgreiche und lebenslange Etablierung der CMV-Infektion."

In Zukunft wollen die Forscher den Wirkmechanismus des Proteins M35 weiter aufschlüsseln. Spezifische Hemmstoffe, die die Funktion von M35 ausschalten, könnten künftig als vielversprechende antivirale Substanzen für die Behandlung von CMV-Infektionen zum Einsatz kommen. (red, 28.5.2017)