Schwierige Feldforschung: Praktiker der Sozialarbeit könnten Wissenschaftern dabei helfen, mit radikalisierungsgefährdeten Jugendlichen in Dialog zu treten.

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St. Pölten – In Zeiten einer latent lauernden Terrorgefahr stehen nicht nur ein friedliches Miteinander, sondern das demokratische Gemeinwesen und eine offene Gesellschaft an sich auf dem Spiel. Extremismus – ob links oder rechts, politisch oder religiös – basiert auf Spaltung und Konfrontation – vor allem dann, wenn aus radikalen Worten radikale Taten werden. "Verbrechen, die aus Rassenhass oder gruppenbezogenen Ressentiments begangen werden, sind die stärkste Form antisozialen Verhaltens, das das Gefüge demokratischer Staaten zu zerstören droht", sagt Harald Weilnböck vom Verein Cultures Interactive in Berlin.

Der Psychoanalytiker, der derzeit zwei EU-Projekte zur Deradikalisierung und Extremismusprävention leitet, war vergangene Woche beim Social Work Science Day der Fachhochschule St. Pölten zu Gast. Unter dem Titel "Extrem ist kein Muss. Politische Bildung und soziale Arbeit" diskutierten Wissenschafter und Sozialarbeiter, wie sie auf extremistische Tendenzen in der Gesellschaft reagieren können.

Feindbilder verhindern

Die Forschung solle sich stärker mit den Praktikern vernetzen, um neue Forschungsfragen zu finden, schlägt Weilnböck vor: "Wir brauchen keine x-te Untersuchung zu Faktoren der Radikalisierung. Stattdessen sollte man in Zukunft lieber verstärkt eine eingehende Praxisforschung betreiben. Bisher wissen wir nicht sehr viel darüber, wie die Entwicklung von Feindbildern und Extremismuskarrieren bei gefährdeten Jugendlichen verhindert und wie ihren Neigungen, von Diskriminierung über Schikane bis hin zu Gewalt und Terror, entschärfend begegnet werden kann."

Die Forschungsfrage müsse daher lauten: Was funktioniert in der Extremismusprävention und warum? Dass in diesem Bereich immer noch vieles Theorie sei, liege auch daran, dass es Wissenschafter schwer haben, in diesem Bereich verwertbare Feldforschung zu betreiben, weil sie von selbst mit den betreffenden Personen schwer in Kontakt kommen: Extremisten und ihre Sympathisanten seien schließlich hochgradig misstrauisch. Hier könne die soziale Arbeit aufgrund ihrer Praxiserfahrungen und Kontakte der Forschung helfen, mit solchen Personen in Dialog zu treten.

Eine gute Kommunikation braucht es laut Weilnböck insbesondere bei mit Extremismus sympathisierenden Jugendlichen: "Es ist der völlig falsche Ansatz, zu Beginn jemanden von seiner politischen Einstellung abbringen zu wollen." In Klientengesprächen, die Akzeptanz und Konfrontation vereinen, könne man so langsam erarbeiten, dass diese Schwierigkeiten wohl auch mit der politischen Einstellung in Zusammenhang stehen.

Entpolitisierung

"Hier braucht es in der Sozialarbeit eine Art Entpolitisierung: Die Abkehr vom Extremismus ist ein langer Prozess und passiert häufig erst am Ende der Betreuung." Um ein Vertrauensverhältnis zu der betreffenden Person aufzubauen, sollte man also nicht gleich mit der Staatsbürgerkunde ins Haus fallen.

Weilnböck ist nicht nur Psychoanalytiker, sondern auch Germanist, was sein besonderes Interesse an "Narrativen" erklärt, die er in diesem Zusammenhang untersucht: "Mit Extremisten kann man nicht rational argumentieren. Gute Demokratiepädagogen wissen, dass man sie emotional packen muss, weshalb es effizienter ist, sich gegenseitig von persönlichen Erfahrungen zu erzählen. Internetkampagnen, die irgendwelche aufgesetzten Gegennarrative präsentieren, bringen dagegen gar nichts."

Auch die Vortragende Eva Grigori vom Department Soziales der Fachhochschule St. Pölten hat einen germanistischen Hintergrund. "Dieses Fach vermittelt historisches Wissen und Sensibilität für Sprache, die ein wichtiges Medium der sozialen Arbeit ist." Die Gesprächsführung ist deshalb ein zentraler Bestandteil in der Ausbildung von Sozialarbeitern.

Jedoch brauche es auch entsprechende Strukturen: Die 2014 eingerichtete Beratungsstelle Extremismus" sei ein Schritt nach vorne, ein Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten wie in Deutschland fehle aber hierzulande immer noch. Die Sozialwissenschafterin wünscht sich zudem ein besseres Netz von spezialisierten Fachstellen, die einzelne Sozialarbeiter unterstützen. Insbesondere im mit solchen Institutionen unterversorgten ländlichen Raum sei das dringend nötig, da sich gerade hier aktuell rechtsextreme Tendenzen zunehmend verstärken.

Auch Grigori plädiert für einen verstärkten Dialog zwischen Theorie und Praxis: "Wir müssen Klartext reden, wo wir als Profession stehen. Wie wir als Helfer der erschreckenden Hilflosigkeit begegnen können, wenn wir mit jenen Menschen konfrontiert sind, aus denen Angst und Hass in Bezug auf andere sprechen." (Johannes Lau, 28.5.2017)