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Vom Wissen zum Nichtwissen: überall außer in der Ökonomie mit einem Heureka verbunden. Im obigen Mosaik trifft Archimedes allerdings den Tod, in Gestalt eines marodierenden Soldaten.

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In den Naturwissenschaften wird jeder Schritt, der vom Nichtwissen zum Wissen führt, mit dem Heureka-Erlebnis beendet. Das geht wohl so weiter, bis man überall die "Weltformel" gefunden hat. Beispielsweise die Ganzkörpertransplantation in der Medizin. Inzwischen haben die Forscherinnen und Forscher das früher noch verbreitete Misstrauen über Fragen, die, gemessen am jeweiligen Stand des Wissens, nicht beantwortbar scheinen, aufgegeben. Alles Denkbare ist prinzipiell möglich. Das macht die Sache ungemein aufregend und spannend.

Ökonomen befinden sich dagegen in einer eher gemütlichen Position, sofern sie sanguinisch oder auch melancholisch veranlagt sind. Denn sie haben sozusagen "ausgedacht" und befinden sich auf dem Pfad einer "Lehre", auf dem das angesammelte Wissen vermittelt und interpretiert werden kann. Natürlich wollen das nicht alle wahrhaben und forschen verbissen weiter: Selbstzweck mit freundlicher Unterstützung des mathematischen Formalismus.

Der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit bedeutet nach "Gewissheit" suchen. Diesbezüglich hatte es die Ökonomie freilich schon immer schwer. Soweit sie auf Grundlage von Theorien in die Praxis Eingang gefunden hat – und dazu ist sie ja da -, war sie letztlich nirgends erfolgreich.

Theorien und Menschen

Man könnte einwenden, das läge nicht an den Theorien, sondern an den Menschen, die sie angewendet haben. Karl Marx war nach eigener Aussage "kein Marxist" (er hat den Kommunismus als humanistisches Konzept verstanden), John Maynard Keynes ist von Postkeynesianern auf die fiskalpolitische Schiene geschoben worden. Und was die neoliberale Seite betrifft: Der amerikanische Wirtschaftswissenschafter Milton Friedman (der akademische "Frontmann" des Neoliberalismus) hat schließlich auf dem "Exerzierfeld" seiner Theorie in Chile keine Todesurteile unterschrieben, obwohl man das, mit genügend Zynismus versehen, als logische Folge jeder Ideologie sehen kann, die den Anspruch auf alleinige Wahrheit zum Regierungsprogramm macht.

Wissen und Glauben

Wenn man diese Beobachtung auf den Boden der Tatsache stellt, dass jede "Einschränkung des Wissens den Glauben fördert" (das stammt aus dem Vorwort zur zweiten Auflage von Kants Kritik der reinen Vernunft und ist auf Religion bezogen, genau wie auch hier gemeint), und wenn man die Lehre Rousseaus dazumischt, das "Volk" müsse seine Souveränität in seiner Gesamtheit ausüben, landen wir flugs in der Türkei und in der Erfahrung, dass das "Volk" (in demokratiepolitischer Rhetorik "die Mehrheit") im Plebiszit seiner Entrechtung selbst zustimmt. Was sich als "Urgestein der Demokratie" verkaufen lässt, ist nichts anderes als ein Katalysator für Alleinherrschaft. Es ist zwar im Sinn der einleitenden Behauptung nicht angemessen, aber sei's drum: Heureka!

Dass es ein solches Erlebnis in der Ökonomie nicht gibt, zeigt auch die "Zeitgeschichte der Euro-Geldpolitik". Was immer als Anker, als steuerbares Zwischenziel herhalten musste, das nominelle Bruttosozialprodukt, Geldmengenbegriffe, Zinssatz oder Zinsstruktur, nichts hat bzw. hätte funktioniert, nichts war "operabel", nicht nur weil sich die Erwartungen in globalisierten Märkten nicht ausreichend beeinflussen lassen, sondern auch weil sich die Ökonomen mit der betriebswirtschaftlichen Seite, mit den bank- und finanztechnischen Instrumenten und Abläufen (wie dem Zusammenhang von Kassa- und Terminmärkten) gar nicht beschäftigt haben.

Dass die EZB auf Zwischenziele verzichtet und daher de facto gleich die "Inflationsrate" als geldpolitisches Ziel sieht, ist unter diesen Umständen logisch. Auch wenn kein Mensch glauben kann, man könnte mit den Möglichkeiten der Zentralbank allein eine Inflationsrate steuern, wie immer man sie auch definiert. Dass es die EZB freilich wegen nationaler Präferenzen und Denkmuster mit einer fundamentalen Schieflage zu tun hat und daher ihre Instrumente im ausdrücklichen Interesse eines Systems einsetzt, das weit weg von einer optimalen Währungszone ist, steht auf einem anderen Blatt.

Vielleicht die Politologen?

Aber nun stellt sich die Frage, warum die Ökonomen nicht ihre kasuistischen Denkmethoden verlassen und wieder zur "politischen Ökonomie" zurückkehren, die institutionelle Entscheidungsstrukturen, finanz- und banktechnische Abläufe sowie auch historisch erklärbare (dennoch nicht für alle Zeiten festgeschriebene) Verhaltensweisen berücksichtigt. Eine strategische Position der Wirtschaftspolitik, die auf einem System der Politikkoordination beruht, ist nur auf Grundlage einer politischen Ökonomie denkbar (wie in Österreich von den 1970ern bis zur Euro-Einführung mit der "Hartwährungspolitik"). Wenn Ökonomen dafür nicht zu haben sind, dann vielleicht wirtschaftshistorisch und soziologisch bewanderte Politologen. (Helmut Pech, 23.5.2017)