Bundeskanzler Christian Kern hat sich mit dem Journalismus beschäftigt. Gutes Thema, die Branche steht unter Beschuss von vielen Seiten: erneute Einflussversuche der Politik (besonders im ORF, aber nicht nur), Verunsicherung der Journalisten (und der Verlage) durch technologischen Wandel. Die Rolle des Journalisten als "Gatekeeper", Einordner, Bewerter, Kommentator von Nachrichten wird durch die Unzahl von quasijournalistischen bis ausgesprochen Propaganda-orientierten Outlets infrage gestellt.

Vor diesem Hintergrund hielt Bundeskanzler Christian Kern vor dem European Newspaper Congress in Wien eine beachtenswerte Rede, in der er drei wichtige Punkte aufgriff. Erstens beklagte er einen Aspekt des immer wichtiger werdenden Online-Journalismus: In den Newsrooms sei der Blick auf die "Klicks" fixiert, journalistische Entscheidungen unterlägen einer "rein quantifizierten, algorithmusgetriebenen Sichtweise". Damit "treten selbstreferenzielle Kreisläufe in Kraft", die letztendlich den "Gedanken der Aufklärung" aus den Redaktionen schwinden ließen.

Übersetzung: Die Anzahl der Zugriffe ("Klicks") entscheide, wie prominent eine Story gereiht wird, und zwar nicht mehr durch journalistische Entscheidung, sondern durch einen Algorithmus.

Journalistisches Urteilsvermögen

Wenn das wirklich so wäre bzw. breitflächig wirklich so kommt, wäre das Anlass zu höchster Sorge. Algorithmen können bei der Reihung einer Story nach Leser/User-Interesse unterstützend wirken. Die Letztentscheidung muss aber und wird wohl auch nach dem journalistischen Urteilsvermögen erfolgen. Denn dieses Urteilsvermögen hat ja schon vorher dafür gesorgt, dass ein bestimmtes Thema überhaupt erst zur Story geworden ist.

Auch die Politik bedient sich inzwischen eines gewaltigen Datensammelapparats. Die Firma Cambridge Analytica rühmte sich, mit ihren auf die Vorlieben von Einzelpersonen zugeschnittenen Kampagnen sowohl den Wahlsieg von Donald Trump wie den Brexit mitherbeigeführt zu haben. Inzwischen sind aber erhebliche Zweifel an dieser Behauptung angemeldet worden. Weder in der Politik noch im Journalismus ist alles ausrechenbar.

Kern beklagte in seiner Rede auch, dass sich Politik und Journalismus in eine "Spirale des Populismus" begäben – die Politiker folgten populistischen Forderungen der Medien und umgekehrt. Da hat der Kanzler recht, aber "nur" für den allseits bekannten Teil der Medien, der überdies gerade von der SPÖ mit Inseraten gefüttert wurde (und wird). Die seriösen Medien machen da ganz überwiegend nicht mit (werden aber in der Journalistenschelte durch Politiker und Publikum gerne mit den anderen zusammengeworfen).

Im Übrigen hätten sich "die" Medien teilweise von den "realen Lebensverhältnissen der Menschen" entfernt und dadurch an Relevanz verloren. Hier ist dem Kanzler teilweise recht zu geben, in dem Sinn, dass etwa zu viel über Politik-Politik berichtet wird und zu wenig über die Auswirkungen der Politik auf die "reale Lebenswelt".

Kann man, muss man ändern. (Hans Rauscher, 23.5.2017)