Hat keine Angst vor Romantik: die kanadische Jazzsängerin- und pianistin Diana Krall.

Foto: Unviersal

Bevor Diana Krall die Bühne des winzigen, fast 170 Jahre alten Pariser Théâtre Déjazet am Boulevard du Temple betritt, dauert es etwas. "Ich habe keine Vorstellung von Zeit, außer hoffentlich in der Musik", entschuldigt sich die kanadische Jazzpianistin und -sängerin, als sie sich schließlich an den Flügel setzt, um ihr jüngstes Studioalbum live vorzustellen.

So nervös und zerfahren manche Ansage wirkt, so sehr ist sie in ihrem Element, sobald sie in die Tasten greift, die Freiräume ihrer vierköpfigen Band perfekt nützt, gut abgehangenen Jazz-Standards mit dunkel schimmernder Stimme neues Leben einhaucht. "Wenn ich nicht improvisiere, fühle ich mich nicht vollständig", sagt sie später im Gespräch.

DianaKrallVEVO

Mit Turn Up The Quiet (Verve/ Universal) kehrt die 52-Jährige nach einem glatten, nicht wirklich geglückten Ausflug in die Welt der Pop- und Rocksongs in ihre musikalische Heimat, die Welt des Great American Songbook zurück. Wobei Krall auf die prinzipielle Zeitlosigkeit jener Broadway-, Film- und Radiohits von Autoren wie Cole Porter oder Rodgers & Hart insistiert, an denen sich Jazzmusiker bis heute abarbeiten: "Diese Musik ist nicht alt, das ist kein Zurückgehen."

John Coltrane habe Like Someone in Love, den Opener ihres Albums, nicht aus nostalgischen Gründen aufgenommen. Sie kenne keine andere Musik, die mit derartigen kreativen Möglichkeiten aufwarte, die von so unterschiedlichen Musikern wie Charlie Parker, Dean Martin, Miles Davis oder Doris Day interpretiert worden sei. "Man muss sich vergegenwärtigen, dass Bebop über diesen Akkordwechseln erfunden wurde."

Gesungene Autobiografie

Dass sich auch Bob Dylan, dessen Song Wallflower ihrem letzten Album den Titel gab und dessen Bassist Tony Garnier nun auf Turn Up The Quiet mitspielt, dem Great American Songbook zugewandt hat, findet sie "großartig". "Er singt diese Songs, als wären sie seine eigene Autobiografie – so wie sie Frank Sinatra sang. Es ist nicht so, dass er nur seine Krawatte lockert und für ein altes Mikrofon singt. Es ist etwas anderes, sehr persönliches. Wenn er When The World Was Young singt, schwingt eine echte Wahrheit mit."

Es ist die Stärke von Krall, dass sie Standards in ihren besten Performances mit ihrer brüchigen, nur an der Oberfläche kühlen Persönlichkeit auszustatten vermag. Zwei Musikern fühlt sich Krall bei der Kombination von Klavierspiel und Gesang bis heute ganz besonders verbunden: Nat King Cole, der in den 50ern in seinem Genre mit so viel Pop-Appeal glänzte wie wenig andere, und Shirley Horn, Inbegriff sinnlicher Verlangsamung. Krall: "Ihre Musik fühlt sich für mich natürlich an." Und hat auch für das zugleich intime und druckvolle neue Album Pate gestanden. "Die Dynamik der Musik liegt nicht so sehr in der Lautstärke, sondern im Feeling. Wir versuchen, das auch live rüberzubringen." Wie weit das gelingt, lässt sich auch hierzulande wieder überprüfen, wenn Krall am 18. und 19. September im Wiener Konzerthaus gastiert.

C à vous

Krall, die bereits als Vierjährige mit dem Klavierspielen begann, hat von Größen ihres Fachs gelernt. Vom Pianisten Jimmy Rowles und vom Bassisten Ray Brown, die sie auch als Teenager nie von oben herab, sondern immer auf Augenhöhe behandelt hätten. An ihrem Geburtstag hat sie sich mit ihrem Ehemann Elvis Costello eine im Alter von 19 Jahren auf ihrem Walkman aufgenommene Lektion mit Brown wieder angehört. Als Brown versuchte, ihr den Song How High The Moon beizubringen, habe sie sich abgemüht und Tränen vergossen, bis der legendäre Jazzer zu ihr sagte: "Krall, spiel etwas, mit dem du dich wohlfühlst."

Ein Rat, den sie bis heute befolgt. Auch mit Turn Up The Quiet, das ursprünglich ein Orchester-Album hätte werden sollen, dann aber mit drei unterschiedlichen Ensembles eingespielt wurde, zu denen u. a. Gitarrenfreigeist Marc Ribot und Geiger Stuart Duncan gehören.

Foto: Unviersal

Romantik für alle

Ein letztes Mal ist ihr dabei auch der legendäre, im März verstorbene Produzent Tommy LiPuma zur Seite gestanden, mit dem sie seit 1994 ihre Erfolgsmischung entwickelte und ihre stärksten Alben, darunter Live In Paris, einspielte: "Ich wollte nur einfach wieder mit Tommy arbeiten, großartige Musiker versammeln und schauen, was passiert."

Der Schock über den Verlust auch dieses Weggefährten sitzt hörbar tief. Sie müsse es jetzt mit Tom Waits halten, wenn dieser singt: "I'm gonna take it with me when I go", und das Gute mitnehmen. Dass sich das neue Album um Themen wie Liebe und Verlust drehe, sei Zufall und nicht geplant gewesen.

Eine Schlüssel-Performance auf dem neuen Album wie auch live ist eine rückhaltlos intime Version des Rodgers-&-Hart-Klassikers Isn't It Romantic. Krall: "Ich mache keine nostalgische Musik für ältere Leute. Romantik ist nicht altersspezifisch, kein demografisches Phänomen. Es ist okay, sich danach zu sehnen." (Karl Gedlicka, 24.5.2017)