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Hilft der öffentliche Druck gegen Steuerhinterzieher? Zuletzt häuften sich Anklagen gegen Prominente wegen Steuerbetrugs. Fußballstar Lionel Messi erhielt 2016 eine Bewährungsstrafe.

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Schauspieler Wesley Snipes wurde 2008 zu drei Jahren Haft verurteilt.

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Alm: Gut belegt ist, dass die Steuermoral steigt, wenn Menschen glauben, das Geld wird sinnvoll eingesetzt.

Tulane University

STANDARD: Sie forschen seit Jahrzehnten zu der Frage, wie man die Steuermoral von Bürgern verbessern kann. Wie kommen Sie zu Ihren Erkenntnissen?

Alm: Es ist hart an Information heranzukommen. Aus offensichtlichen Gründen macht es wenig Sinn, Bürger zu fragen: "Hi, haben Sie Ihre Steuern bezahlt, und wenn nein, warum nicht?" Man kann sich aber bestimmter Kennzahlen bedienen. Am Schwarzmarkt ist es üblich, dass mit Bargeld bezahlt wird. Wir Forscher sehen uns deshalb an, unter welchen Umständen sich die Verwendung von Bargeld verändert. Doch solche Untersuchungen haben Schwächen, und so setzen Wissenschafter und Steuerbehörden zunehmend auf Experimente.

STANDARD: Auf welche?

Alm: Im Vereinigten Königreich hat die Steuerbehörde eine Abteilung für Verhaltensforschung eingerichtet. Die Abteilung schickt Briefe an Bürger, die ihre Steuererklärung vorbereiten. Darin stehen Sätze wie: "Nur damit Sie wissen: Die meisten Menschen im Land zahlen ihre Steuern ehrlich." Oder: "Haben Sie gewusst, dass mit Ihren Steuern die Gesundheitsversorgung finanziert wird?" Die Verhaltensforscher sehen sich an, wie die Menschen reagieren, ob sie ihr Verhalten ändern. Daneben führen wir Laborversuche durch, das muss man sich als eine Art Spiel vorstellen.

STANDARD: Wie läuft das ab?

Alm: Wir laden Studenten, Arbeitnehmer oder Manager ein. Jeder wird mit einem fiktiven Einkommen ausgestattet, das versteuert werden muss. Wer sein Einkommen nicht versteuert, kann alles behalten. Aber wer bei einer Steuerprüfung auffliegt, der bekommt eine hohe Strafe. Wir sehen uns dann an, wie die Menschen reagieren, wenn wir Variablen verändern, Steuersätze erhöhen oder häufiger kontrollieren.

STANDARD: Was sind die neuesten Erkenntnisse?

Alm: Ein neuer Ansatz ist die Bloßstellung von Hinterziehern. In den meisten Versuchen war es so, dass nur der Versuchsleiter wusste, wenn jemand betrogen hat. Nun sagen wir den Leuten: Wird jemand beim Hinterziehen erwischt, dann werden wir zusätzlich zur Strafe allen Versuchsteilnehmern ein Foto dieser Person zeigen. Wir haben diesen Versuch in Italien und den USA durchgeführt, mit je 100 Personen. Unsere Erwartung war, dass die öffentliche Bloßstellung in den USA, wo soziale Normen ausgeprägter sind, wirkt, nicht aber in Italien. Doch die Androhung der Bloßstellung hatte in beiden Ländern einen signifikanten Effekt. Die Steuerehrlichkeit ist um zehn bis 15 Prozent gestiegen.

STANDARD: Was folgt daraus?

Alm: Die Veröffentlichung der Namen von Hinterziehern könnte ein Instrument sein, um mehr Ehrlichkeit zu schaffen. Ob wir in der realen Welt dieselben Resultate bekommen wie im Versuch, weiß ich nicht. In den USA publizieren einige Bundesstaaten Listen mit Namen von Personen, die alkoholisiert Auto gefahren sind. Wie viel das bringt, ist nicht klar.

STANDARD: Was bringt Menschen dazu, Steuern ehrlich zu zahlen?

Alm: Es ist ein Mix von Dingen. Strafen spielen eine Rolle. Wenn Menschen wissen, dass ihnen keine Strafen drohen, werden viele keine Steuern zahlen. Gut belegt ist weiters, dass die Steuermoral steigt, wenn Menschen glauben, das Geld wird für etwas Sinnvolles verwendet. Deshalb ist Vertrauen in Regierungen so wichtig. Leute halten sich auch eher an die Regeln, wenn es andere, Nachbarn oder Freunde, tun. Soziale Normen spielen also eine Rolle. Nachweisbar, wenn auch weniger deutlich ist schließlich, dass die Zahlungsmoral steigt, wenn Steuerbehörden Menschen nicht wie Verbrecher, sondern wie Kunden behandeln. Je einfacher jemand seine Steuererklärung machen kann, desto besser.

STANDARD: Wie wirken sich eigentlich Fälle auf die Steuermoral aus, in denen aufgedeckt wird, dass Konzerne über Jahrzehnte fast keine Steuern bezahlt haben – etwa der Fall Apple in Irland?

Alm: Befragungen zeigen, dass ein Unterschied zwischen Individuen und Konzernen gemacht wird. Das, was Apple gemacht hat, war legal, sie haben gesetzliche Möglichkeiten genutzt, um ihre Steuerlast zu senken. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen dafür eher Verständnis haben. Ganz anders verhält es sich bei wirklich reichen Individuen, die ein sehr hohes Einkommen haben, aber keinen Cent Steuern bezahlt haben. Das zerstört die soziale Norm, wonach es notwendig ist, Steuern zu bezahlen. Solche Geschichten zerstören das Gefühl, dass es fair zugeht in der Gesellschaft.

STANDARD: Spielt die Höhe der Steuern eine Rolle?

Alm: Ja, definitiv.

STANDARD: In den USA erleben Thesen des konservativen Ökonomen Arthur Laffer ein Comeback. Eine lautet: Niedrige Steuerraten sind für ein Land besser. Donald Trump ist ein Anhänger des Konzepts. Was halten Sie davon?

Alm: Für Laffer liegt die Lösung aller Probleme darin, Steuern zu senken. Bei niedrigeren Steuern arbeiten Menschen mehr, und Firmen investieren eher, weil sie wissen, es bleibt ihnen mehr Geld über. Das ist Laffers These. Menschen betrügen demnach bei niedrigeren Steuersätzen weniger, weil sie weniger Grund dazu haben. Dafür lassen sich Belege finden. Aber ich denke, Laffer macht sich die Welt viel zu einfach.

STANDARD: Warum?

Alm: Die höchsten Steuerraten in den USA gab es in der Zeit von den 1940er-Jahren bis 1962. Der höchste Tarif in der Einkommenssteuer lag damals bei 93 Prozent. Trotzdem ist das eine Periode von sehr hohem Wachstum gewesen. Als Bill Clinton 1993 die Steuern erhöhte, warnten konservative Ökonomen vor einer Rezession. Tatsächlich boomte die Wirtschaft. Die Erklärung ist, dass in den 1990er-Jahren viele Dinge gleichzeitig passierten. Die Internetökonomie war am Entstehen. Das war ein weit bedeutenderer Faktor als die Steuererhöhung. Eine Erklärung dafür, warum in den 1950er-Jahren trotz höherer Steuern Menschen bereit waren, härter zu arbeiten, mag auch lauten, dass die Menschen damals gesehen haben, sie bekommen etwas für ihr Geld – neue Straßen und Schulen.

STANDARD: Trump und die Republikaner argumentieren, eine Steuersenkung werde die Wirtschaft so sehr ankurbeln, dass am Ende mehr Geld hereinkommt.

Alm: Dieses Argument über die Selbstfinanzierung von Steuersenkungen wird gern bemüht und stimmt niemals. Frisches Beispiel: In Kansas wurde vor ein paar Jahren der Republikaner Sam Brownback zum Gouverneur gewählt. Er ist ein großer Laffer-Fan und hat 2012 eine dramatische Steuersenkung durchgeführt. Die Wirtschaft ist nicht wie prognostiziert sprunghaft gewachsen, es gab keinen Boom. Die Finanzlücke im Haushalt des Staates ist gewachsen, Kansas musste noch mehr Hilfe von Washington beantragen. Das Experiment ist fulminant gescheitert.

STANDARD: In Europa kämpfen viele Länder mit einer schlechten Steuermoral. Was lässt sich dagegen tun?

Alm: Sehen Sie nach Griechenland: Das Land hat ein modernes Steuersystem. Aber unter den Menschen herrscht ein erschreckender Zynismus bezüglich dessen, was mit ihrem Geld passiert. Es gibt kein Vertrauen in die Institutionen. Es existiert deshalb keine starke soziale Norm im Land, wonach es wichtig ist, Steuern zu bezahlen. Weil weniger zahlen, ist die Qualität der Dienstleistungen schlechter. Eine solch verfahrene Situation lässt sich nur in kleinen Schritten verbessern. (András Szigetvari, 23.5.2017)