Präsident Erdoğan wirft mit Blumen um sich.

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Ankara/Athen – Dem Mann, dem kein Lachen mehr auskommt, ist die Rührung anzusehen. Tayyip Erdoğan spricht mit brüchiger Stimme. Seine Augen sind geradezu sanft. Er ist wieder zu Hause, bei den Seinen. "Nach 998 Tagen grüße ich euch aufs Herzlichste", ruft der türkische Staatspräsident. Er ist noch gar nicht in der Halle, wo der Sonderparteitag zelebriert wird. Erdoğan spricht zu den Tausenden von Anhängern, die sich seit den frühen Morgenstunden des Sonntags vor dem Eingang der größten Sporthalle Ankaras drängen, um ihn zu sehen. Die Rückkehr an die Spitze der AKP, der konservativ-islamischen Erfolgspartei, die Erdoğan kurz vor der Regierungsübernahme vor nun bald 15 Jahren gegründet hatte, ist Revanche und ultimativer Sieg über das alte System der Türkei, aber eben auch eine emotionale Angelegenheit.

Die türkische Verfassung hatte ihn zur Unparteilichkeit verpflichtet. Als Tayyip Erdoğan im Sommer 2014 vom Amt des Premiers in das des Staatspräsidenten wechselte, musste er den Parteivorsitz aufgeben und – offiziell zumindest – die Verbindungen zu seiner Partei abbrechen. Nun sind die drei Jahre Zwangspause zu Ende. Mit den Verfassungsänderungen, die im Vormonat knapp durch einen Volksentscheid angenommen wurden, erhält Erdoğan sein Machtinstrument, die Partei, zurück. "Hier ist die Armee, hier ist der Kommandant", brüllt die Menge vor der Sporthalle und reckt dabei im Stakkato den rechten Arm nach vorn, als schleuderte sie schon einen Speer gegen die Feinde von Partei und Führer. Dann lässt sich Tayyip Erdoğan endlich in die Parteitagshalle bringen.

Lang dauert der Weg nach vorn in die erste Sitzreihe. Erdoğan geht die Delegationen aus allen türkischen Provinzen ab, immerhin 81 an der Zahl, schüttelt Hände und wirft unentwegt Nelken, weiß und rot, die ihm wie durch einen Zauber immer wieder aufs Neue aus den Händen wachsen.

Nur ein Spieler allein

Der diskrete Nelkengeber folgt dicht hinter ihm, gemeinsam mit Erdoğans Frau Emine und dem noch amtierenden Partei- und Regierungschef Binali Yıldırım.

Auf den Rängen stimmen junge Parteimitglieder Sprechgesänge an und schwenken lange Transparente mit dem Namen ihrer Provinz, die man auch auf ihren Schals lesen kann. Sie jubeln wie bei einem Fußballspiel ihrer Mannschaft, aber die Mannschaft ist ja nur ein einzelner Spieler. Und dessen anfängliche Rührung ist bald verflogen.

Fast zwei Stunden dauert Erdoğans Rede vor den Parteitagsdelegierten. Er ist der einzige Kandidat für den Vorsitz, und er spricht nun wie immer – mit harter, lauter Stimme, mahnend, drohend, hier und da eine rhetorische Frage einflechtend, um die Unsinnigkeit seiner Kritiker zu demonstrieren. Wer versöhnliche Töne erwartete, wird enttäuscht. Der Ausnahmezustand wird bleiben, sagt Erdoğan, und zwar so lange, bis wieder Ruhe eingekehrt ist. Den Terrororganisationen und deren Unterstützern stünden noch "härtere Tage" bevor, kündigt der Staatschef an.

Auf der neuen Kandidatenliste für das Führungsgremium der Partei fehlen Namen bisheriger Mitglieder wie der von Veysi Kaynak, einem Vizepremier, der am Abend des Verfassungsreferendums Enttäuschung über das knappe Ergebnis geäußert hatte. Dafür ist Ethem Sancak dabei, ein islamistischer Medienbesitzer und ehemaliger Maoist. Mit 1414 von 1.470 Stimmen wird Tayyip Erdoğan wieder zum Parteivorsitzenden gewählt. Die 100 Prozent verfehlt er. (Markus Bernath, 22.5.2017)