Grünen-Spitzenkandidatin Lunacek sieht Mitte links "sehr viel Platz" und will dieses Vakuum nutzen.

Foto: APA/Fohringer

STANDARD: Sie sind nach dem Rücktritt von Eva Glawischnig binnen kürzester Zeit als Spitzenkandidatin für die Wahl am 15. Oktober aufgestellt worden. Hatten Sie dafür Bedingungen formuliert?

Lunacek: Ich habe schon Dinge genannt, die wichtig sind. Der entscheidendste Punkt war, dass ich nicht Bundessprecherin werde.

STANDARD: Warum?

Lunacek: Es ist eine Sondersituation, die wir jetzt haben, und die erfordert vollen Einsatz. Außerdem war bei Ingrid Felipe in all diesen Gesprächen innerhalb dieser rund 36 Stunden klar, dass sie, wenn, nur die Bundessprecherin machen wird.

STANDARD: Aber kann man eine Bundespartei aus Innsbruck leiten?

Lunacek: Na sicher. Felipe hat ja schon Erfahrung, sie ist seit eineinhalb Jahren Stellvertreterin gewesen und hat bereits viel an interner Koordination gemacht. In so einer Situation, die für alle überraschend gekommen ist, ist das eine ausgezeichnete Lösung.

STANDARD: Wie geht das bei Ihnen mit der EU-Vizepräsidentschaft und dem Europamandat?

Lunacek: Das werde ich bis zur Wahl behalten. Dinge, die ich angefangen habe, möchte ich auch zu Ende führen. Das bin ich auch den Menschen schuldig, die mich gewählt haben. Nach der Wahl, spätestens nach der Angelobung, werde ich diese Funktion und das Mandat aber zurücklegen.

STANDARD: Böse Zungen könnten von einem Antritt ohne Risiko sprechen. Geht die Wahl schief, kann sich Felipe abputzen, und Sie gehen einfach zurück ins EU-Parlament.

Lunacek: Das sehe ich nicht so. Denn: Entweder führe ich die Grünen in eine Regierung, oder ich gehe in den Nationalrat und werde als Klubobfrau sehr gute Oppositionsarbeit machen, weil dann wohl die Freiheitlichen an der Regierung sind. Wir haben schon einmal unter Schwarz-Blau gezeigt, dass wir aufklären und Korruptionsskandale an das Licht der Öffentlichkeit bringen.

STANDARD: Momentan schaut alles nach einem Dreikampf SPÖ – ÖVP – FPÖ aus. Haben Sie nicht die Sorge, unter die Räder zu kommen?

Lunacek: Ich bin eine starke, erfahrene Frau, die in diesem Kampf sehr wohl gegen die One-Man-Shows der drei anderen eine Rolle spielen wird. Ich stehe für ein starkes Europa, aber eines, das sozial gerecht ist, wo es um Menschenrechte geht, aber auch um eine Wirtschaftspolitik, die ökologisch nachhaltig ist. Das machen die anderen nicht. Und wir wollen den Rechtsruck in Österreich verhindern. Wir sind die einzige Partei, die es völlig ausschließt, je mit den Freiheitlichen in eine Regierung zu gehen.

STANDARD: Sind die gerade aufgezählten Punkte das, womit Sie in den Wahlkampf gehen werden?

Lunacek: Ganz sicher. Die Grünen sind die klarste Europapartei in Österreich. Aber es ist natürlich klar, dass ich dieses Europa auch gestalten will. Die Startposition ist zweifellos nicht leicht, aber ich fürchte mich nicht vor schwierigen Aufgaben – und bin immer gut damit gefahren. Schauen wir mal!

STANDARD: Sollen sich die Grünen explizit links positionieren?

Lunacek: Ich will eine progressive Mehrheit erreichen. Sehe ich mir das Spektrum in Österreich an, dann ist Mitte links sehr viel Platz. Alle anderen gehen nämlich schrittweise nach rechts – oder sind längst dort. Dieses Vakuum möchte ich mit den Grünen ausfüllen. Wir haben so gute Chancen, viele Leute zu gewinnen.

STANDARD: Wie stehen Sie zur Forderung von Peter Pilz, auf Linkspopulismus zu setzen?

Lunacek: Es gibt die Varianten des Populismus, die mit Hetze und Ausgrenzung des anderen Sündenbockpolitik machen. Für diesen Weg stehen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Konsorten. Ich will nicht, dass Österreich in Richtung Viktor Orbán abdriftet – was mit einer blauen Regierungsbeteiligung passieren kann und wo ÖVP-Chef Sebastian Kurz jetzt schon in manchen Schritten in diese Richtung geht. Mein Weg ist einer, der durchaus auch einmal zugespitzt sein kann. Und das ist dann eher eine Stilfrage, keine inhaltliche.

STANDARD: Gibt es etwas, das Sie sich vom erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf von Van der Bellen abkupfern wollen?

Lunacek: Wirklich toll an seinem Wahlkampf habe ich gefunden, wie es gelungen ist, dass eine breite Bewegung entstanden ist. Wie er trete ich auch dafür ein, den Heimatbegriff neu zu besetzen und den Rechten wegzunehmen. Ich rede auch davon, dass Europa unsere Heimat ist. Und dass Österreich ein wichtiger Teil davon ist. Europa ist nicht irgendwo weit weg, wir sind Europa.

STANDARD: Eva Glawischnig hat geklagt, dass der Ton in der Politik immer aggressiver wird. Spüren Sie das auch?

Lunacek: Ja, das stimmt sicher. Zum Teil hängt das natürlich mit den sozialen Medien zusammen, wo sehr oft anonym geschrieben wird. Das ist schon sehr heftig. Aber auch die Sprache und der Ton in der Politik selbst haben sich sehr verschärft, etwa wie über politische Gegner geredet wird. Es gibt viele Untergriffe und weniger Respekt füreinander als früher. Gerade als Frau bekommt man das besonders ab.

STANDARD: Von den Machos in der Politik?

Lunacek: Ich kenne auch ein paar Machos, zweifellos. Die gibt es überall – auf allen Ebenen, ganz egal, ob in der Politik, der Wirtschaft oder den Medien.

STANDARD: Haben Sie schon ein persönliches Wahlziel?

Lunacek: Ich will einen starken und vor allem erfolgreichen Wahlkampf führen. Das ist mir schon bei den vergangenen EU-Wahlen gelungen. Da gab es im Vorfeld viele Stimmen, die meinten: Nein, die wird das nicht schaffen! Ich habe das Gegenteil bewiesen. Ich bin zuversichtlich: Das wird auch jetzt gelingen. (Peter Mayr, 21.5.2017)