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Bojko Borissow ist zum dritten Mal bulgarischer Premierminister.

Foto: Reuters / Stoyan Nenov

Bereits zweimal war Bojko Borissow bulgarischer Premierminister, am 4. Mai wurde er erneut als Regierungschef angelobt. Borissow steht an der Spitze einer Koalition seiner bürgerlichen Partei Gerb ("Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens") und den Vereinigten Patrioten (OP), einem Bündnis dreier nationalistisch-populistischer Parteien. Ihre Mehrheit im Parlament ist knapp, und auch ideologisch zeigen sich erste Risse.

STANDARD: Bulgariens neue Regierung ist erst seit zwei Wochen im Amt. Vor kurzem ist der Vizeminister für Regionalentwicklung, Pawel Tenew, zurückgetreten, weil Fotos mit Hitlergruß von ihm aufgetaucht sind. Was bedeutet das für die noch junge Regierung?

Dzhambazova: Die Causa bestätigt die Befürchtungen, dass Bulgarien erneut von einem instabilen Kabinett regiert wird. Tenew war vom kleineren Koalitionspartner, den weit rechts stehenden "Vereinigten Patrioten" nominiert worden. Mittlerweile hat Premier Borissow (von der Partei Gerb, Anm.) auch den Rücktritt eines hohen Beamten im Verteidigungsministerium gefordert, von dem es ebenfalls ein Foto mit Hitlergruß gibt. Außerdem ist die Mehrheit dieser Koalition ohnehin ziemlich fragil. Sie verfügt im Parlament nur über 122 der 240 Sitze.

STANDARD: Erst im November wurde ein neuer Präsident gewählt, im März dann ein neues Parlament. Wie ist in Bulgarien die Stimmung nach den politischen Grabenkämpfen der letzten Zeit?

Dzhambazova: Seit Oktober war ja praktisch ständig Wahlkampf. Ich glaube, davon haben die Menschen nun genug. Vor den Wahlen wollen ja alle Parteien Aufmerksamkeit, und die Debatten verschärfen sich. Das sieht man zum Beispiel beim Thema Flüchtlingspolitik: Der Wahlkampf war unter anderem von einer gegen Migranten gerichteten Rhetorik geprägt. Es gab sogar einige Vorfälle, wo syrische Flüchtlinge wegen feindseliger Reaktionen die Orte verlassen mussten, an denen sie sich niedergelassen hatten. Manchmal wurde das von Mitgliedern rechtsextremer Parteien gezielt angeheizt.

STANDARD: Die Präsidentschaftswahl hat Rumen Radev gewonnen, den die Sozialisten nominiert hatten. Kurze Zeit später gewann die bürgerliche Gerb dann die Parlamentswahl. Wie ist das zu erklären?

Dzhambazova: Das Rennen zwischen der Gerb und den Sozialisten bei der Parlamentswahl war sehr eng. Wie in den Umfragen vorhergesehen, hat Borissows Gerb schließlich mit sehr knappem Vorsprung gewonnen. Laut mehreren politischen Beobachtern besteht der Grund für diesen Sieg vor allem darin, dass die Sozialisten gegen Ende des Wahlkampfs ihre prorussische Botschaft verstärkt haben. Sie haben zum Beispiel gesagt, dass sie die Sanktionen gegen Russland nicht unterstützen würden, wenn sie an die Macht kommen. Viele Wähler wollten da nicht mitgehen.

STANDARD: Westliche EU-Länder blicken mit besonderer Aufmerksamkeit auf das Verhältnis zwischen ihren östlichen Nachbarn und Russland. Spielt dieser vermeintliche Gegensatz "prorussisch" gegen "proeuropäisch" in Bulgarien tatsächlich eine große Rolle? Wie nehmen das die Menschen vor Ort wahr?

Dzhambazova: Die Situation ist definitiv komplizierter. Vor allem die ältere Generation, die im Sozialismus gelebt hat, blickt oft recht nostalgisch auf diese Zeit zurück. Außerdem gibt es eine gewisse Affinität zu Russland, nicht nur politisch, sondern auch in der Literatur oder in der Geschichte. Russland wird oft als Befreier Bulgariens gepriesen, denn Bulgarien erhielt seine Freiheit vom Osmanischen Reich im späten 19. Jahrhundert, nach dem russisch-türkischen Krieg.

STANDARD: Welche Rolle spielt hier die gegenwärtige weltpolitische Lage?

Dzhambazova: Jetzt mit den USA unter Präsident Trump und einer durch die Brexit-Entscheidung geschwächten EU haben wir eine Phase, in der die Menschen mehr und mehr besorgt sind, dass Putin den Balkan als Testgelände für seine Außenpolitik benutzen könnte. Das betrifft auch Bulgarien. Das Land ist zudem sehr stark von russischer Energie abhängig, und es kommen viele russische Touristen. Dennoch haben in Bulgarien viele lokale Oligarchen das Sagen, die sich mehr um ihre eigenen Geschäftsinteressen kümmern als um die geopolitischen Interessen des Kreml. Diese Sache hat also viele Ebenen.

STANDARD: Sie haben die frühere Herrschaft des Osmanischen Reiches erwähnt. Wie steht es um die Beziehungen Bulgariens zum Nachbar Türkei? Ist antitürkischer Nationalismus ein vorrangiges Motiv für die Vereinigten Patrioten? Oder stehen diese auch für einen Nationalismus, der sich gegen die EU richtet?

Dzhambazova: Es stimmt, sie sind unter anderem antitürkisch. Das richtet sich übrigens auch gegen die Partei der türkischen Minderheit, die mit Korruption und der Verflechtung von Business und Politik in Zusammenhang gebracht wird. Die rechtsextremen Parteien nutzen das als Vorwand, um die türkische Minderheit allgemein zu attackieren, die damit rein gar nichts zu tun hat. Darüber hinaus stehen sie aber noch für eine ganze Reihe anderer "Antis": Die Vereinigten Patrioten haben eine Rhetorik, die sich auch gegen Migranten, Roma und Homosexuelle richtet, und bisweilen auch gegen die EU.

STANDARD: Wie sehr bedroht das die Regierungszusammenarbeit mit der proeuropäischen Gerb?

Dzhambazova: Ich glaube, für die Vereinigten Patrioten ist der Machterhalt derzeit wichtiger als das Festhalten an einer Anti-EU-Linie. Sie haben die Anti-Brüssel-Rhetorik bereits heruntergefahren. Vor der Regierungsbildung haben sie gemeinsam mit der Gerb ein Dokument unterschrieben, in dem die EU- und die Nato-Mitgliedschaft zu den wichtigsten Prioritäten zählen. Außerdem scheint es zwischen den Parteien eine unausgesprochene Übereinkunft zu geben, dass die Regierung zumindest für ein Jahr stabil bleiben soll. Bulgarien wird im ersten Halbjahr 2018 die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen, und dafür braucht man eine funktionierende Regierung. Die politischen Eliten wollen in Brüssel nicht das Gesicht verlieren.

STANDARD: Auch weil laut Umfragen die bulgarische Bevölkerung sehr proeuropäisch eingestellt ist?

Dzhambazova: Ja, die Bulgaren vertrauen den Brüsseler Institutionen mehr als ihrem Parlament, ihrer Polizei oder ihren Gerichten, denn es gibt viel Korruption im Land. Trotzdem sind zehn Jahre nach dem EU-Beitritt einige Leute enttäuscht, weil sie mehr erwartet haben.

STANDARD: Bulgarien übernimmt den EU-Ratsvorsitz unmittelbar vor Österreich. Wie laufen die Vorbereitungen?

Dzhambazova: Es ist zu Verzögerungen gekommen, teilweise wegen der politischen Instabilität im Land. Die logistische Planung hinkt hinterher, von den inhaltlichen Prioritäten ganz zu schweigen. Wenn man den Vorsitz im Europäischen Rat hat, dann sollte es eine Agenda geben, die man vorantreiben will. Vor allem dann, wenn zur selben Zeit die entscheidende Phase beim Brexit erwartet wird. Die Regierung ist sich dessen bewusst, Borissow hat sogar eine Ministerin für die Vorbereitung des EU-Vorsitzes ernannt. Es ist aber schon Mai, es bleibt uns nur noch etwas mehr als ein halbes Jahr. Und ich bin nicht sicher, ob wir das schaffen. (Gerald Schubert, 20.5.2017)