Sebastian Kurz will die ÖVP also als "Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei" in die Nationalratswahl am 15. Oktober führen. Von der Kanzlerpartei SPÖ kann man sich ebenso erwarten, dass sie im Wahlkampf voll auf ihren Spitzenkandidaten Christian Kern setzen wird. Immerhin wird Kurz und Kern von rund 60 Prozent der Wahlberechtigten Vertrauenswürdigkeit attestiert.

Und auch sonst erleben wir, dass besonders in Wahlkampagnen Parteien stärker in den Hintergrund treten. In manchen Fällen (von Irmgard Griss bis Emmanuel Macron) werden sie zur Gänze obsolet. Die Innsbrucker Politikwissenschafterin Lore Hayek hat in ihrer Dissertation gezeigt, dass Personen (konkreter: Spitzenkandidaten) in der Wahlwerbung der österreichischen Parteien deutlich prominenter geworden sind.

Diese Personalisierungstrends hat Hayek in ihrer Analyse mit einem Index (0 = keine Personalisierung, 3 = maximale Personalisierung) für 929 Wahlplakate erfasst (für eine Erklärung des Index siehe Beschreibung der Grafik). Während in der Frühphase der Republik Spitzenkandidaten auf Wahlplakaten kaum vorkamen, sind sie heute eher die Regel als die Ausnahme.

Hinter diesem Trend steht natürlich eine Ursache: Mit Abnahme der traditionellen Parteibindungen werden populäre Persönlichkeiten als Wahlmotiv wichtiger. Die Umfragen seit der Nationalratswahl 2013 zeigen etwa, dass zwei der größten Stimmungsumschwünge der letzten Jahre nach dem Wechsel von Michael Spindelegger zu Reinhold Mitterlehner an der ÖVP-Spitze und nach der Ablöse von SPÖ-Chef Werner Faymann durch Kern auftraten. In beiden Fällen legten die jeweiligen Parteien binnen relativ kurzer Zeit rund sechs Prozentpunkte zu. Und auch in der politikwissenschaftlichen Forschung gibt es viel Evidenz dafür, dass populäre Spitzenkandidaten Stimmen bringen können (auch wenn solche Effekte empirisch nicht so einfach zu erfassen sind).

Nüchtern betrachtet ist natürlich einzuwenden, dass der Austausch einer Person an der Spitze nur selten große inhaltliche Veränderungen mit sich bringt. Die Kurz-ÖVP (unter welchem Namen auch immer) wird aller Voraussicht nach programmatisch ungefähr dort verortet sein, wo es die Mitterlehner-ÖVP, die Spindelegger-ÖVP, die Pröll-ÖVP, die Molterer-ÖVP und die Schüssel-ÖVP waren.

Gleiches gilt für andere Parteien – schließlich ist es ja genau der Sinn und Zweck einer Partei, langfristig stabile und von Einzelpersonen unabhängige programmatische Ziele und Interessen zu verfolgen. Deswegen ist es wenig überraschend, dass neue Parteivorsitzende meist keine dramatische inhaltliche Kursänderung bringen (prominente Ausnahmen wie Tony Blair oder Jörg Haider sind selten). Ganz im Gegenteil dazu macht es einen großen Unterschied, welche Parteien regieren – egal ob in der Wirtschafts-, Sozial-, Umwelt- oder Gesellschaftspolitik.

Wer also "richtig" wählen will (so, dass die eigenen Präferenzen am besten abgebildet werden), tut gut daran, Spitzenkandidaten keine allzu große Bedeutung beizumessen. Viel wichtiger als der Name des Kanzlers und Vizekanzlers ist, welche Parteien diese Positionen besetzen. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 20.5.2017)