Hat das Museum für Kunst, Architektur und Technik (MAAT) in Lissabon geplant: Amanda Levete.

Foto: AL_A / Matt Holyoak

STANDARD: Was waren die größten Herausforderungen in Konzeption und Umsetzung des MAAT Lissabon? Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Levete: Der Kunde, der Stromerzeuger EDP, hatte die Vision, das MAAT als einen Ort der Entdeckung und Experimente zu gestalten. Einer, der zu Lissabon gehört und einen großen Beitrag zur portugiesischen, aber auch zu den internationalen Kulturszenen leistet. Wir wollten nicht nur ein Museum entwerfen, sondern es vielmehr als ein städtebauliches, urbanes Projekt umsetzen. Der öffentliche Raum und seine demokratische Dachterrasse, die spektakuläre Ausblicke auf Lissabon erlaubt, sind so wichtig wie das Museum selbst. Wir wollen damit auch die von der Stadt abgetrennte Uferzone wieder mit ihr verbinden, wofür auch eine als Verbindung zur Stadt dienende Brücke errichtet wird. Aber es ist auch eine metaphorische Verknüpfung durch die neueröffnete Perspektive auf die Stadt vom Dach aus.

STANDARD: Was waren die Probleme, die ein solcher Bau am Flussufer mit sich brachte?

Levete: Solche Areale bringen nicht nur Hindernisse mit sich, sie eröffnen auch Möglichkeiten, die man aus ingenieurswissenschaftlicher Perspektive gewinnt. Unser Design spendet durch die mit Keramikfliesen bedeckte Fassade Schatten und reduziert die Sonneneinstrahlung und Reflektion des Lichtes hier an der Tejo-Flussmündung. Von den Fliesen an der Unterseite der Struktur wird das von der Wasseroberfläche reflektierte Licht nochmals bis an den Boden der Ausstellungsflächen im Inneren geworfen. Um nicht den Ausblick der Stadt auf den Fluss zu verbauen, haben wir das gesamte Gebäude teilweise abgesenkt, woraus sich eine effiziente Wärmespeicherkapazität ergibt. Die ingenieurswissenschaftliche Herausforderung war umso größer, als das Gebäude nun unter dem Wasserspiegel liegt. Wir nutzen dies jedoch mit einem Netzwerk an Rohren, über das das Museum in den heißen Sommermonaten gekühlt wird.

Foto: AL_A / EDP Foundation

STANDARD: Und das doch extravagante Äußerliche?

Levete: Das MAAT ist ein Museum, wie es nur in Lissabon und nur an ebendiesem konkreten Ort errichtet werden kann. Es ist ein Statement zum außerordentlichen Umgebungskontext – in Beziehung zum Tejo-Fluss, zum Kohlekraftwerk aus dem 19. Jahrhundert und der Stadt sowie zu den weiteren Ausstellungsgebäuden im näheren Umfeld oder weitreichender bis ins Zentrum Lissabons. Wir wollten den Bürgern Lissabons ein angemessenes Gebäude bieten, eines, auf das sie hinaufspazieren können, durch das sie durchgehen, aber auch herumflanieren können. Dieser Anspruch bewegte uns dazu, das MAAT auch in seine Umgebung einzufügen und darin strukturell verschmelzen zu lassen. Wir bewegen uns dabei weg vom Konzept der Ikonisierung eines einzigen Gebäudes in Richtung einer Ikonografie eines Ortes. Und schon jetzt ist das MAAT bekannt für die Qualität des öffentlichen Raums, den es schafft – was weit über das Museum an sich, seine Form und seine Grenzen hinausreicht.

STANDARD: Wie hat Sie die Industriearchitektur des Kraftwerks beeinflusst?

Levete: Unser Ziel war es, sicherzustellen, dass das MAAT nicht das historische Kraftwerk in seiner Form in den Schatten stellt. Darum war es essenziell, die Aussichten auf den Fluss, das andere Ufer, aber auch auf die historische Altstadt zu erhalten. Die MAAT-Kunsthalle schlängelt sich nun am Ufer entlang, wo sie in aller Bescheidenheit unter der Skyline verbleibt, in Kontrast zum doch imposanten Kraftwerksbau. Unser Design zeigt Präsenz, ist aber nicht bombastisch. Aus der Luft betrachtet umarmt das MAAT übrigens das Kohlekraftwerk.

Foto: AL_A / Hufton Crow

STANDARD: Warum waren für Sie Keramikfliesen die ideale Lösung für die Oberfläche des MAAT?

Levete: Das MAAT ist ein Projekt über das Wasser, das Licht, seine Reflektionen und die Menschen. Es ist die Geometrie, die Modularität und die Materialität der Fassade, die eigens dafür konzipiert wurde, um ebendiese Punkte zu akzentuieren. Für die Fassade suchten wir nach einem Material, dass das Gebäude in seinem historischen und kulturellen Kontext verankert. Als wir erstmals im November 2010 das Areal für den Bau besuchten, kamen wir just zum Sonnenuntergang, und der Fluss färbte sich in einem goldenen Orange. Wir waren uns sofort der Möglichkeit bewusst, die sich daraus ergab, das direkte Licht und das von der Wasseroberfläche reflektierte in seinen Veränderungen über den Tag hinweg zu verwenden, besonders auf der nach Süden ausgerichteten Vorderseite. Das und den sich ständig verändernden Himmel verwenden wir für die Wahrnehmung des MAAT, ebenso die sich verändernden Gezeiten. In Summe haben wir knapp 15.000 dreidimensionale glasierte Keramikfliesen verwendet, die eine texturierte Fassade bilden – speziell für uns erzeugt von Ceràmica Cumella in Barcelona (Anm.: produziert u. a. auch für Gaudís Sagrada Família). Dabei bauen wir auch auf die reiche und lange Handwerkstradition Lissabons (Anm.: mit Azulejos), als zeitgenössische Ausformung dieses für Portugal so typischen Baustoffs, in Verbindung mit unserer fortwährenden Forschung zur Keramik, zu neuen Verwendungsfeldern und einer generellen Neuinterpretation. Die Fliesen fangen nicht nur die Veränderungen des außergewöhnlichen südseitigen Lichts ein, je nach Tages- oder Jahreszeit. Ihre Dreidimensionalität reflektiert auch die Veränderungen der Wasseroberfläche. Als praktischer Effekt entsteht zudem durch die Trennung der thermischen Einwirkung auf das Gebäude durch die Keramikfassade ein natürlicher Luftraum, der der Kühlung des Museums im Sommer dient.

STANDARD: Stellen die mitunter extrem großen Ausstellungsflächen, beispielsweise die Galeria Oval mit ihren 1000 Quadratmetern, auch Kuratoren und Künstler vor neue Herausforderungen?

Levete: Das MAAT ist ein Raum, der die Vorstellungskraft der Öffentlichkeit und Künstler gleichermaßen fesseln soll. Das Design der Ausstellungsflächen in seinem Inneren ist als Komplementierung der bereits bestehenden im nahen Kraftwerksgebäude gedacht. Die Flächen im MAAT sollen der Diskussion dienen und die Partizipation anregen. Es sind Räume für das Aufeinanderprallen der Strömungen in einen transdisziplinären Programm, wo Kunst, Architektur, Technologie samt ihren Überschneidungen aufeinandertreffen und kollidieren. Ein jeder Raum ist für sich einzigartig und zugleich flexibel genug, um sich anzupassen – auch an die Veränderungen, die die Zeit mit sich bringen wird. Dies entspringt der sich eben auch akut wandelnden Beziehung von Kunst, Museen und den Museumsbesuchern. Dabei braucht es Platz für Interaktion und Performance – einen Platz, der der in immer geringerem Maße didaktischen Beziehung zwischen Museum und Öffentlichkeit entgegenkommt. Der Maßstab der Ausstellungsflächen und der hohe Grad an Wandelbarkeit birgt ein hohes Potenzial für Kuratoren und Künstler. Insbesondere die elliptische Form der Galeria Oval, die zugleich Zentrum wie Brennpunkt ist, eröffnet Optionen, anstatt Künstlern Grenzen aufzuerlegen. Diese haben mehr Möglichkeiten, ihrer Kreativität ohne räumliche Enge Ausdruck zu verleihen. Zudem bietet die volltechnisierte Decke variantenreiche Anpassungsformen, wodurch Kuratoren das Raumgefühl sehr einfach von oben verändern können, etwa indem sie Lichter zuschalten oder entfernen können.

Foto: AL_A / Hufton Crow

STANDARD: Sind Sie selbst nicht auch ein wenig überrascht, welche Wirkung das MAAT auf die Lissabonner bereits zeitigt?

Levete: Die Art und Weise, wie Lissabons Bevölkerung das MAAT angenommen hat, übertrifft all unsere Erwartungen bei weitem. Allein am ersten Tag der Eröffnung strömten knapp 80.000 Menschen auf das Areal rund um das MAAT. Es ist ein Beleg dafür, dass auch der Auftraggeber richtig lag, indem der Stromerzeuger EDP die Wichtigkeit, Verbindungen zum Fluss und zum Stadtzentrum zu schaffen, als das Elementare des Projekts betrachtete, sowohl physisch wie auch konzeptionell. Und es spiegelt auch wider, welchen Wert Portugals politische und unternehmerische Szene Architektur und Kultur einräumt. Das MAAT ist nun das Tor zu Belém, und ich hoffe, es bleibt ein Magnet, der Menschen zum lange vergessenen, heruntergekommenen Ufer des Tejo ziehen wird und dieses als einen neuen, wiederbelebten, vibrierenden Stadtteil als Ausflugsziel für Lissabonner und Reisende etabliert. Viele Lissabonner kommen mittlerweile täglich auf das MAAT-Areal, zum Jogging am Ufer oder eben über das Dach des MAAT. Familien bringen ihre Kinder hierher zum Spielen, Pärchen sitzen im Schatten unter dem Kragträger. Und natürlich zieht auch das außergewöhnliche Ausstellungsprogramm Interessierte von nah und fern an, um für sich die Grenzen und Überschneidungen zwischen Kunst, Architektur und Technik zu erkunden. (Jan Marot, 20.5.2017)