Inhalte des ballesterer Nr. 122 (Juni/Juli 2017) – Seit 18. Mai im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

SCHWERPUNKT: FUSSBALL IM KRIEG

ZWISCHEN PROPAGANDA, ALLTAG UND WIDERSTAND
Wohin der Ball im Irak und Syrien rollt

DER SPORTDIKTATOR
Der irakische Fußball unter Udai Hussein

NACH DEN TALIBAN
In Afghanistan wird wieder gekickt

Außerdem im neuen ballesterer:

KLEINER KLUB, GROSSE ZIELE
Der Aufstieg des FC Karabakh

TORE, TRÄNEN, TRAGIK
Paul Gascoigne wird 50

KAMPF UM DIE STADT
Ein Anstoß zum Wert von Stadien

DIE SERIENSIEGERINNEN
Zu Besuch beim SKN St. Pölten

TRIKOT STATT BIKINI
Weibliche Fans in England

VON PACKING UND PRESSING
Taktikexperte Tobias Escher im Interview

ÄLTER ALS DAS SPIEL
Die Arena Civica in Mailand

GESCHÜTZTES KULTURGUT
Die Rettung von Recreativo Huelva

KNOCK-OUT SEIT 1919
Daten und Zahlen rund um den Cup

DER GUTE POLIZIST VON ST. GALLEN
Fluchthelfer Paul Grüninger

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Deutschland, Italien, Kroatien und Spanien

Muayad Khalid: "Die politische Lage ist im Irak so instabil, dass immer etwas passieren kann."

Foto: Dieter Brasch

Es nieselt leicht, als wir uns an einem Freitagvormittag mit Muayad Khalid in einem Büro der Caritas treffen. Sie organisiert die Käfig-League in Wien und betreut Flüchtlinge. Khalid ist aus dem Irak gekommen. Er kennt den dortigen Fußball und auch dessen Schwierigkeiten. 15-mal lief er zwischen 2005 und 2010 für das Nationalteam auf, er wurde Zweiter bei den Asienspielen 2006 und spielte beim Confed-Cup 2009 in Südafrika gegen den späteren Weltmeister aus Spanien. Khalid gehört zur jüngsten Goldenen Generation des Irak, auch wenn der Rechtsverteidiger beim größten Erfolg, dem Gewinn der Asienmeisterschaft 2007, nicht im Kader war. Nun will er in Österreich Profifußball spielen. "Ich habe mir die Liga angesehen", sagt Khalid. "Da kann ich mithalten."

ballesterer: Wie sind Sie Profifußballer geworden?

Muayad Khalid: Mein älterer Bruder war ein ausgezeichneter Hobbykicker, er hat mich mit dem Fußballvirus infiziert. Mit zehn oder elf habe ich dann beim Verein aus meiner Nachbarschaft begonnen, bei al-Naft, dem Klub einer Ölfirma in Bagdad. Damals hat es im Irak einen sehr guten Trainer gegeben: Emmanuel Baba Dawud. Er hat als Teamchef dreimal den Golf-Cup gewonnen und den Irak zu den Olympischen Spielen 1984 und 1988 geführt. Er ist wahrscheinlich der größte Trainer in der Geschichte des Landes.

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Jedenfalls hat er uns eines Tages zugeschaut und mich dann ins Jugendnationalteam geholt. Das war der Beginn meiner Karriere. 2005 habe ich in der Kampfmannschaft debütiert, 2006 haben wir bei den Asienspielen dann leider das Finale gegen Katar 0:1 verloren.

2007 hat der Irak zum ersten Mal die Asienmeisterschaft gewonnen. Warum waren Sie nicht im Kader?

Das weiß ich selbst nicht, ich war davor und danach Stammspieler. Ich habe die genauen Gründe nie erfahren, der Irak hatte zu dieser Zeit aber auch häufige Teamchefwechsel. Beim Confed-Cup 2009 in Südafrika war Bora Milutinovic unser Trainer. Er hat sehr viel von mir gehalten.

Die irakischen Nachwuchsteams haben sich auch in der jüngsten Vergangenheit immer wieder für Endrunden qualifiziert. Warum kann das A-Team davon nicht profitieren? In der FIFA-Weltrangliste lag der Irak im März auf Platz 122. So schlecht wie noch nie.

Das sind immer dieselben Sachen: Die Politik versucht zu oft, Einfluss zu nehmen. Es herrscht ein Streit zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden. Da wird dann der eine Spieler nicht nominiert, weil er aus einer bestimmten Familie oder Gruppierung kommt, dann ein anderer. Das ist leider in den letzten Jahren häufig der Fall gewesen. Mir ist das egal. Ich sage auch nicht, welchen Glauben ich habe. Wenn mich einer fragt, sage ich: Ich bin Fußballer.

Sind diese Einflüsse von außen tatsächlich so stark? Auch an der WM-Qualifikation für Russland ist der Irak bereits gescheitert.

Leider hängt nicht alles von den spielerischen Fähigkeiten ab. Auch nicht vom Trainer. Da spielen zu viele Emotionen hinein, zu viele Leute dürfen bei Trainerentscheidungen und Aufstellungen mitreden. Da geht es um Freundschaften, die gepflegt werden. Oder es wird nachgegeben, wenn bestimmte Bevölkerungsteile einen bestimmten Trainer verlangen.

Liegt es nicht auch daran, dass die ältere Generation mit Spielern wie Yunis Mahmud lange nicht zurücktreten wollte und junge Spieler blockiert hat?

Das mag zu einem gewissen Grad stimmen, aber eigentlich bin ich der Meinung, dass eine Mannschaft aus einer Mischung von erfahrenen und jungen Spielern bestehen sollte. Die Älteren können die Jungen leiten. Das sollte man auch akzeptieren, aber derzeit überwiegt dieser Jugendwahn. Die Verantwortlichen glauben, dass man nur mit jungen Spielern erfolgreich sein kann. Das halte ich für falsch. Mit 28, 29 Jahren ist man doch noch nicht alt.

Dennoch wird sehr viel in den Fußball investiert. Es entstehen neue Kunstrasenplätze, und große Stadien werden gebaut.

Ja, der Irak versucht, auch sportlich wieder auf die Beine zu kommen. Das Geld wäre ja da, wie man an den Stadionneubauten sieht. Nur habe ich das Gefühl, dass unsere Institutionen nicht immer das letzte Wort dazu haben, was damit passieren soll. Da spielt wieder die Politik hinein, es wird viel von außen blockiert. Vor allem von den Golfstaaten, darunter nicht nur dem Iran. Sie wollen den Irak auf jede erdenkliche Weise klein halten.

Was bedeutet es für das Nationalteam, dass es für seine Heimspiele in die Nachbarstaaten ausweichen muss?

Wir haben ja immer wieder gute Ergebnisse erzielt, obwohl wir jetzt schon lange im Ausland spielen müssen. Dabei wäre das Publikum die halbe Miete. Im Ausland sind keine Fans da, du bekommst keine Unterstützung. Wenn wir in Bagdad, Basra oder Erbil spielen dürften, würde es viel besser um unseren Fußball stehen.

Fehlt es dem Irak an fußballerischen Idolen?

Das ist im Irak ähnlich wie hier. Es geht nur um Lionel Messi und Cristiano Ronaldo. Wenn das Nationalteam spielt, laufen die Kids schon im Trikot von Mahmud oder Ali Adnan herum. Aber die waren auch im Ausland erfolgreich und sind dadurch Idole für die Kinder.

Mahmud hat in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten gespielt. Nach dem Hype um ihn hat er einige Drohbriefe erhalten und gesagt, dass er nie wieder im Irak spielen würde.

Ja, aber da geht es weniger um Politik. Das sind Einzelpersonen wie die Fanatiker in Kolumbien, die 1994 Andres Escobar erschossen haben. Sie wollen dich unter Druck setzen. Sie versuchen alles, um dich aus der Ruhe zu bringen.

Sind solche Phänomene durch den Einzug des sogenannten Islamischen Staats in den Irak schlimmer geworden?

Ich weiß es nicht. Wenn man Fußball spielt, vergisst man wirklich alles. Erst wenn du mit deinen Freunden zu Hause bist, denkst du daran, dass alle in Gefahr sind. Das ist eine große Last. Der religiöse Krieg zwischen Sunniten und Schiiten ist furchtbar. Aber zuletzt ist es ein bisschen besser geworden.

Wie hat sich der Fußball durch den IS verändert?

Es hat sich viel geändert. In Mossul hat es früher zwei Profiklubs gegeben, in Ramadi und in der Provinz Salah ad-Din auch. Die sind alle weg, die Spieler sind über das ganze Land verstreut oder geflohen. Alle schiitischen Fußballer sind weg, das hat natürlich negative Folgen.

Sie haben ja auch für einen schiitischen Klub in Bagdad gespielt.

Es gibt drei führende Klubs in Bagdad: al-Zawraa, al-Quwa al-Dschawiya und al-Talaba. Ich habe bei allen dreien gespielt, dadurch hatte ich auch einige Probleme. Dabei habe ich immer versucht, das Publikum für mich zu gewinnen. Meistens habe ich das auch geschafft. Mit al-Zawraa haben wir 2011 die Liga gewonnen, und seitdem lieben sie mich auch dort.

Wie kann man das Publikum im Irak charakterisieren?

In Bagdad sind die Spiele sehr gut besucht, da stehen die Menschen Schlange. Es gibt auch so etwas wie eine Ultraszene. In Basra ist der Fußball nicht so populär, weil die Klubs nicht so gut sind. Aber im Irak folgt das Publikum auch mehr als anderswo den Spielern. Wenn ein guter Spieler zu einem bestimmten Klub geht, hat der Klub sofort mehr Fans.

Wie groß ist der Einfluss der Religion auf den Fußball?

Ich finde, das sollte egal sein. Fußball ist ein Sport, in dem weder Politik noch Religion einen großen Einfluss haben sollten. Bei al-Zawraa, einem schiitischen Verein, hatten wir einen sunnitischen Trainer. Mit Justin Meram haben wir einen chaldäischen Christen aus den USA im Nationalteam. Selbst das war keine große Diskussion.

Udinese-Legionär Ali Adnan hat sich mit irakischen Truppen in Uniform fotografieren lassen und sich damit klar für den Kampf gegen den IS ausgesprochen.

Jeder Mensch sollte so glücklich werden, wie er es will. Wenn er das macht, ist das seine Entscheidung. Ich würde es nicht machen. Einige Trainer haben sich dem Militär angeschlossen. Die politische Lage ist im Irak so instabil, dass immer etwas passieren kann. Ich zum Beispiel habe im Oman gespielt und wollte dann zurück nach Bagdad. Da war ich nicht mehr willkommen und war gezwungen wegzugehen. In den Oman konnte ich aber auch nicht mehr zurück, weil meine Familie kein Visum hatte. Deswegen sind wir hierhergekommen.

Wie wird es mit dem irakischen Fußball in den nächsten fünf Jahren weitergehen? Zuletzt wurden ja zwei kurdische Klubs von der Liga ausgeschlossen.

Zu den Klubs muss man dazusagen, dass sie finanzielle Probleme hatten. Die haben sich einfach übernommen. Generell ist es schwer zu sagen, was die Zukunft bringen wird. Man weiß ja auch nie, was der Politik wieder einfällt. Mein Wunsch wäre, dass der Fußball mit der Politik so wenig wie möglich zu tun hat. (Clemens Gröbner, Dolmetscher: Sedghi Barwari, 18.5.2017)