Vizekanzler Wolfgang Brandstetter hat für Kanzler Christian Kern nur lobende Worte über – und kann dessen Frust gut verstehen.

Foto: APA/Jäger

Bild nicht mehr verfügbar.

Am Mittwochvormittag wurde Brandstetter von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt – und ist frei von politischen Ambitionen.

Foto: Reuters/Bader

Reinhold Mitterlehner hat bei seinem Abschied mahnende Worte für seine Ex-Kollegen in der Politik parat, er entschwindet offenbar gerne ins Privatleben.

Foto: APA/Hochmuth

Wien – Wolfgang Brandstetter geht zur Jukebox, die in seinem Vorzimmer steht, und drückt ein Lied: Don't be cruel von Elvis Presley. Der Justizminister, seit wenigen Stunden auch Vizekanzler, empfängt am Mittwochnachmittag Journalisten. Er kommt gerade vom Waldviertelmarkt am Rathausplatz, ein "Pflichttermin", wie er verrät. Er hat Mohnzelten mitgebracht. "Sie sehen einen Vizekanzler vor sich, der keinerlei politische Ambitionen hat." Man ist geneigt, ihm das zu glauben.

"Der Endpunkt ist da", sagt Brandstetter, "aber noch kann man arbeiten." Christian Kern, dem Bundeskanzler, zollt er Respekt: "Ich habe den Eindruck, dass er an sachpolitischer Arbeit interessiert ist und etwas weiterbringen will." Das gelte freilich auch für Sebastian Kurz. Dass ihn der Kanzler in seiner neuen Funktion als Vizekanzler als "irrelevant" bezeichnet hat, sieht Brandstetter mit Nachsicht. Er könne durchaus verstehen, dass Kern enttäuscht ist. Da sei wohl eine gewisse Emotionalität im Spiel. Die SPÖ müsse noch ihren Frust abbauen, glaubt Brandstetter, und das sagt er ganz ohne Sarkasmus.

Einige Projekte werde man noch auf den Weg bringen, die ganz großen Würfe dürfe man sich freilich nicht mehr erwarten. Studienplatzfinanzierung oder Bildungsreform, da seien sehr aufwendige Themen, da ist er skeptisch. Auch beginne jetzt eine Phase, in der man schon an den Wahlkampf denke, räumt Brandstetter ein.

Potenzial nie ausgeschöpft

Eine gewisse Enttäuschung kann auch er selbst nicht verhehlen. "Das Potenzial, das diese Regierung gehabt hätte, ist nie ausgeschöpft worden", sagt Brandstetter. In dieser Regierung sei das Trennende zu oft vor das Gemeinsame gestellt worden. Auch innerhalb der ÖVP sei es oft sehr schwierig gewesen, einen Konsens zu finden. "Vielleicht hat auch die Chemie nicht gestimmt", sagt der neue Vizekanzler zum Scheitern der alten Koalition.

Er wolle jetzt verhindern, dass alles im Chaos versinke, das sei seine Motivation, den Vizekanzler zu übernehmen, das sei auch der Auftrag, den er von Sebastian Kurz bekommen habe. Den Koalitionspakt wolle man einhalten, und sollte sich die SPÖ nicht daran halten, dann sei das auch nicht so dramatisch: "Was soll denn schon passieren?", fragt Brandstetter. "Es gibt ja schon einen Neuwahltermin."

Nahe einer Staatskrise

Reinhold Mitterlehner, dem Brandstetter als Vizekanzler nachgefolgt ist, hatte sich am Mittwoch ein letztes Mal in offizieller Funktion zu Wort gemeldet, ehe er seine Geschäfte zurücklegte und vorerst einmal ins Privatleben entschwindet. Bei einer kurzen Zeremonie im Marmorsaal des Wirtschaftsministeriums appellierte Mitterlehner an alle politischen Kräfte, verbal "abzurüsten" und wieder zur "Gesprächsfähigkeit" zurückzukommen. Die aktuelle innenpolitische Situation habe eine Entwicklung genommen, "die mir Sorgen macht", sagte Mitterlehner. Derzeit habe der "Machtpoker in der Republik in einem enormen Ausmaß die Oberhand übernommen". Es sei eine Situation "nahe an einer Staatskrise", da die Kooperationsbereitschaft "offensichtlich nicht mehr so ist, wie sie sein sollte". Sein Appell zur Abrüstung und Einschränkung gelte nicht nur für die Regierungsfraktionen, sondern auch für die Opposition. Es dürfe nicht zu einer Situation des Stillstands kommen, die womöglich auch nach der Neuwahl andauern könnte.

Kaum Ministerräte versäumt

Mitterlehner dankte auch seinen Mitarbeitern im Haus, mit denen er immerhin "3089 Tage" im Ministerium hatte arbeiten dürfen. Dabei habe er 340 Regierungssitzungen "mitabgewickelt", nur zehn Ministerräte versäumt und beruflich insgesamt rund 600.000 Kilometer zurückgelegt. Harald Mahrer, seinem Nachfolger im Wirtschaftsministerium, überreichte Mitterlehner ein Fitnessarmband, das unter anderem die Pulsfrequenz aufzeichnen kann. Es sei oft gut, den Puls in der Politik unten zu halten, meinte Mitterlehner.

An sich will Mitterlehner von der ÖVP nicht mehr so viel wissen. Er sei auch gekränkt darüber, dass seine Verabschiedung im schwarzen Klub recht verhalten ausgefallen war. Während der Dank an ihn mit mäßigen Applaus quittiert worden war, wurde die Kür von Kurz in derselben Sitzung begeistert gefeiert. Umso lieber wird Mitterlehner in seine oberösterreichische Heimatgemeinde Helfenberg zurückkehren, wo schon seine Tarockierrunde im Wirtshaus auf ihn wartet. (Michael Völker, 18.5.2017)