Eine Herausforderung im Umweltschutz: Der Flächenverlust durch Parkplätze oder Straßen nimmt zu.

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Wolfram Tertschnig ist Nachhaltigkeitskoordinator des Bundes.

STANDARD: Was macht ein Nachhaltigkeitskoordinator?

Tertschnig: Nachhaltigkeit beinhaltet soziale, ökonomische und ökologische Dimensionen. Meine Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass das Miteinander besser funktioniert, als es im tradierten Bild der Verwaltung der Fall ist, wo jeder in seiner sektorpolitischen Nische arbeitet.

STANDARD: Wie sieht das in der Praxis aus?

Tertschnig: Die Ministerien müssen die UN-Nachhaltigkeitsziele umsetzen. Wir sind dabei, einen Aktionsplan des Umweltministeriums für die kommenden vier Jahre fertigzustellen.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel nennen?

Tertschnig: Abfallwirtschaft hat ganz klare Ziele: vermeiden, verwerten und bestmöglich umweltgerecht entsorgen. Wir haben jedoch ein Ressourcenproblem. Es hat daher Priorität sich zu überlegen, wie man mit Ressourcen so umgeht, sodass man sie möglichst lang in Kreisläufen behält. Das bedeutet nicht, dass man Schutzinteressen ausblendet.

STANDARD: Wo gibt es Nachholbedarf beim Umweltschutz?

Tertschnig: Wir müssen wirtschaftliches Wachstum vom Naturverbrauch entkoppeln, ressourceneffiziente Produktion stärken und auch beim Konsumverhalten ansetzen. Wir müssen beim Umgang mit den räumlichen Ressourcen umdenken: In Österreich werden täglich rund 20 Hektar Fläche für Infrastruktur versiegelt, die fehlen für Erholung, Biodiversität oder Landwirtschaft. Und selbstverständlich müssen wir das Pariser Klimaschutzabkommen auf allen Ebenen umsetzen: Global betrachtet kommen wir in Teufels Küche, wenn uns das nicht gelingt.

STANDARD: Kommende Woche starten die Aktionstage Nachhaltigkeit. Was ist das Ziel?

Tertschnig: Die großen ökologischen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen erzeugen bei vielen Leuten die Sorge, dass sich das von der Politik nicht mehr ausreichend steuern lässt. Ja, wir brauchen politische Hebel für eine lebenswerte Umwelt. Es ist aber verkürzt zu fordern, dass die Politik alles ordnen soll. Die Aktionstage haben daher das Motto "Menschen machen morgen".

STANDARD: Wer ist daran beteiligt?

Tertschnig: Akteure aus der Zivilgesellschaft, aus Bildungseinrichtungen und Betrieben können ihre Beiträge vorstellen. Heuer werden das rund 400 bis 500 Projekte sein. Auf der Website oder bei Terminen kann man sich Inspiration holen und miteinander in Kontakt treten.

STANDARD: Was steht heuer auf dem Programm?

Tertschnig: Es gibt wieder in ganz Österreich Reparaturwerkstätten. Die Uni Graz und die Boku machen einen Nachhaltigkeitstag. In Dornbirn haben Schulklassen 80 Projekte erarbeitet. In Salzburg gibt es einen Stadtspaziergang zum Thema kritischer Konsum. Die Wiener Tafel macht Ende Mai ein Fest auf dem Rathausplatz, wo die Idee "Teilen statt wegwerfen" transportiert wird. Ab dem Wochenende startet ein Onlinevoting über alle Projekte. Der Gewinner begleitet die österreichische Delegation zum High-Level Political Forum for Sustainable Development nach New York.

STANDARD: Sie sind auch Co-Vorsitzender des europäischen Nachhaltigkeitskoordinatorennetzwerks. Was passiert auf Europaebene?

Tertschnig: Es gibt in dem Zeitraum die Europäische Nachhaltigkeitswoche, die wir mitinitiiert haben. Voriges Jahr wurden 4200 Projekte in 38 europäischen Ländern vorgestellt. Online können Interessierte englischsprachige Kurzfassungen nachlesen.

STANDARD: Ist überhaupt noch genug Zeit für Freiwilligkeit, um die Klimaschutzziele umzusetzen?

Tertschnig: Ich sage ganz ehrlich: Mir kann es auch nicht schnell genug gehen. Das persönliche Engagement hat seine Grenzen, es braucht auch öffentliche Anreize, aus dem ethisch, moralisch oder durch Innovation getriebenen Engagement heraus, nachhaltigere Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. Der Staat ist der größte Konsument und kann gesellschaftspolitische Kriterien umsetzen. Im Prinzip gibt es aber keine Zweifel: Steuern durch Steuern. Mit unternehmerischem Engagement, Bewusstseinsbildung und guten Beispielen kann viel erreicht werden. Aber vermutlich noch mehr erreicht wird, wenn sich das, was umweltbewusst und sozial verträglich ist, von jenen Produkten und Dienstleistungen preislich differenziert, die es nicht sind. (july, 18.5.2017)