Selbstinszenierung und die Freiheit, Fakten selbst zu schaffen: Populisten haben einiges gemein mit Westernhelden.

Foto: Imago/Blickwinkel

Soziologe Jörg Flecker.

Foto: Franziska Beer

Bild nicht mehr verfügbar.

Politologe Asiem El Difraoui.

Foto: Picturedesk/rtn/Blitzner/dpa

Wien – Es geht ein Gespenst um – nicht nur in Europa: das Gespenst des Populismus. Auf der ganzen Welt formiert sich derzeit eine populistische und autoritäre Internationale. Als ihr größter Lautsprecher sitzt nun im Weißen Haus Donald Trump, der auch nicht dafür bekannt ist, ein besonnener Staatsmann zu sein, und alles konterkariert, was man vom "Führer der freien Welt" eigentlich erwartet.

Was diese Persönlichkeiten und Gruppierungen eint, ist neben einem ausgeprägten Nationalismus ein tiefsitzendes Ressentiment gegenüber Errungenschaften der Aufklärung: die demokratischen Institutionen, das Bildungswesen, der Wissenschaftsbetrieb, die freie Presse. Wer den Fakten grundsätzlich misstraut, der beargwöhnt auch die Einrichtungen, die diese Fakten ermitteln.

Der deutsche Kulturwissenschafter Georg Seeßlen macht in seinem heuer erschienenen Essay "Trump! Populismus als Politik" diesen Antiintellektualismus als wesentliches Element des politischen Populismus und somit als eine der Säulen von Trumps Erfolgsrezept aus: "Der Kern einer alten Emanzipationsgeschichte – 'Wissen ist Macht' – hat sich in sein Gegenteil verwandelt: Um der Macht des Wissens entgegenzutreten, muss die Kraft des Nichtwissens entfaltet werden. Dieses Nichtwissen ist nicht einfach nur provinzielle Ignoranz oder mangelndes Interesse an Bildung, Kultur und Information, sondern vor allem die Leugnung einer Verbindlichkeit."

Selfmademan Trump

Diese Strategie lässt sich einfach verknüpfen mit Trumps Selbstinszenierung als Selfmademan, der angeblich nichts mit Wirtschafts- und Bildungseliten zu tun hat und sein Herz und Hirn auf der Zunge trägt. Solch eine Vorgehensweise ist laut Seeßlen symptomatisch für die populistische wie popkulturelle Figur des Volkshelden: "Das Wissen erzeugt eine dem Aufstieg wie dem Erfolg zuwiderlaufende Ordnung. Daher muss der Volksheld im Western und anderswo sich nicht das Wissen aneignen, sondern demonstrieren, wie gut man außerhalb von ihm leben kann."

Wer sich jedoch die Welt macht, wie sie ihm gefällt, und jegliche Fakten und Informationen der Wirklichkeit ignoriert, betreibe eigentlich gar keine Politik an sich mehr, sondern verfolge ein anderes Programm: "Politik heißt auf Wirklichkeiten reagieren, schlecht oder recht, Trumpismus dagegen heißt, sich eigene Wirklichkeiten zu errichten, jenseits der großen Erzählungen von Vernunft und Moral."

Mit der Demokratie in der Krise beschäftigte sich wiederum vergangene Woche in Wien eine Tagung des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung der Donau-Universität Krems in Bezug auf die jüngsten Entwicklungen in Frankreich. Zu den Teilnehmern gehörte auch Asiem El Difraoui, Senior Fellow am Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin, der sich mit den Aspekten Terror und Islam in der politischen Kultur Frankreichs beschäftigt.

Laut dem Politologen helfen sich beide radikalen Seiten derzeit sogar: "Das Kernprinzip ist immer dasselbe: Extremismen befeuern sich und bilden so eine Art Zweckallianz. Deshalb wird Le Pen den Jihadismus stark machen – durch soziale Abgrenzung und Polarisierung. Das ist in Frankreich besonders massiv, weil sich die Franzosen muslimischer Herkunft generell ausgegrenzt fühlen."

Spaltung der Gesellschaft

Die andere radikale Seite versuche wiederum mit ihren Mitteln, die Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzubringen: Das Ziel von Terrorattacken sei in erster Linie, die Gesellschaft zu spalten. In diese Polarisierungsfalle dürfe man aber nicht laufen. Aber was kann man dem entgegenhalten? El Difraoui rät: "Wir brauchen dem gar nichts entgegenzuhalten, sondern sollten lieber neu definieren, was unsere Vision von Europa und Gesellschaft ist."

Hier sei aber vor allem die Zivilgesellschaft gefragt, der Wissenschaft selbst komme die Aufgabe zu, die Propaganda solcher radikaler Gruppen zu dekonstruieren und deren Ideologien als auf falschen Prämissen basierend zu entlarven.

"Populisten in allen Bereichen haben sich eine geschlossene Weltsicht aufgebaut – sei es ein arischer Gründungsmythos, Le Pens Reinheit der französischen Kultur oder die Behauptung von Jihadisten, sie allein repräsentierten den wahren Islam", sagt El Difraoui. "Es ist unsere Aufgabe als Wissenschafter, solche geschlossenen Weltbilder zu widerlegen: Es hat immer einen kulturellen Austausch gegeben."

So stamme zum Beispiel die große französische Tradition des mittelalterlichen Troubadourgesangs ursprünglich aus dem arabischen Andalusien. Dennoch sei es bei vielen Menschen mit einfacher rationaler Überzeugungsarbeit längst nicht mehr getan. El Difraoui: "Da gibt es Menschen, die ein subjektives Gefühl der Ausgeschlossenheit haben, und wir haben uns keine Mühe gegeben, mit ihnen vernünftig zu kommunizieren."

Die Wissenschaft könne aber auch dazu beitragen zu verstehen, wann, wo und warum man solche Personen verloren habe, die sich jetzt den verschiedenen Extremisten zuwenden. Hier seien zahlreiche Disziplinen – etwa die Politologie, die Psychologie oder die Geschichts- und die Kommunikationswissenschaft – gefragt.

Dabei müsse man sich in Zukunft auf die modernen Kommunikationskanäle konzentrieren: "Die derzeitige enorme technische Revolution kann sehr gefährlich für unsere Demokratie sein. Aber wir müssen auch genau analysieren, wie wir mit diesen Mitteln mit Menschen positiv kommunizieren können, die wir vorher nicht erreicht haben."

Ins Gespräch mit den bereitwilligen Empfängern populistischer Botschaften tritt auch Jörg Flecker in seiner Forschung. Der Soziologe von der Universität Wien untersucht die Motive und Emotionen von Wählern rechtspopulistischer Parteien. Zu diesem Zweck wiederholt er derzeit eine zu Beginn des Jahrtausends durchgeführte Untersuchung in Österreich und Ungarn und kombiniert sie zusätzlich mit qualitativen Interviews. "Gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen führen häufig zu Unsicherheit und Abstiegsängsten. Bei einer ausbleibenden Reaktion der zuständigen Entscheidungsträger ergibt das ein Ohnmachtsempfinden, das von der extremen Rechten erfolgreich aufgegriffen werden kann."

Jedoch betont Flecker, dass dieser Zusammenhang nicht allgemein gelte: Schließlich sei etwa in der Flüchtlingssituation nicht nur Ablehnung, sondern auch viel Empathie beobachtet worden – in allen sozialen Schichten. Der Soziologe weist zudem darauf hin, dass sich bereits in der früheren Studie die seinerzeit verbreitete These nicht mehr als haltbar erwies, dass nur Modernisierungsverlierer Rechtsextreme wählten, sondern sehr wohl auch wirtschaftlich Bessergestellte – diese tun das laut Flecker vermutlich aus einem übersteigerten Leistungsverständnis.

Wohlfahrtschauvinismus

Jedoch sei auch zu beobachten, dass eine gemeinhin auf linker Seite verortete Haltung wie Solidarität ebenso bei rechten Wählern anzutreffen sei – jedoch dann häufig lediglich gegenüber den eigenen Landsleuten oder in Form dessen, was man in der Politikwissenschaft "Wohlfahrtschauvinismus" nennt: Fremde werden geduldet, solange sie nicht gleichberechtigt am Sozialsystem teilhaben. Das ist hierzulande inzwischen auch eine sozialdemokratische Position.

"Man darf heute den Rechtspopulismus nicht nur in Zusammenhang mit bestimmten Parteien bringen – das ist übergreifend. Der aktuelle Erfolg der Rechtspopulisten ist nur zu verstehen, wenn man berücksichtigt, dass diese Wählerschaft sehr vielfältig ist." Somit laufen die Wähler nicht zwingend nach rechts über, sondern gleichzeitig verschiebt sich die Mitte auch nach rechts.

Der von Populisten selbst gern eingesetzte angebliche Gegensatz von "Elite" und "einfachem Volk" lässt sich angesichts der Wählerzusammensetzung dieser Parteien ohnehin kaum mehr aufrechterhalten. Georg Seeßlen stellt deshalb am Ende seines Buches auch die beunruhigende Frage: "Was ist, wenn die Demokratie nicht weiter mehrheitsfähig ist?" (Johannes Lau, 18.5.2017)