Es passiert nicht oft, dass nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg praktisch alle Betroffenen – Parteien, Bürgervertreter, NGOs, die Industrie, die nationalen Regierungen bis hin zur EU-Kommission in Brüssel – mit dem verkündeten Erkenntnis hochzufrieden sind. Im Fall des Freihandels- und Investitionsabkommens der EU mit Singapur, bereits im Jahr 2013 abgeschlossen, war es Dienstag aber so weit. Das ist umso erstaunlicher, als die Debatten über solche EU-Abkommen – mit Kanada (Ceta) und (geplant) mit den USA (TTIP) – seit Jahren intensivst geführt wurden.

Die Höchstrichter hatten zu entscheiden, ob die EU-Abkommen "neuen Typs", die über den reinen Handelsbereich hinausgehen und zum Beispiel Investitionen bzw. Schiedsgerichte bei Streitigkeiten vorsehen, in alleinige Kompetenz der EU – der Kommission als Verhandler für den Ministerrat und des Europaparlaments – fallen; oder ob dabei auch die nationale Kompetenz der Mitgliedsstaaten zwingend zu berücksichtigen sei und Parlamente beim Ratifizierungsverfahren ein Mitentscheidungsrecht haben.

Konkret war dies am "Singapur-Abkommen" abzuhandeln. Die Kommission selbst hatte das Verfahren eingeleitet.

Geteilte Zuständigkeit

Der EuGH folgte nun in praktisch allen wesentlichen Teilen den Empfehlungen der Generalanwältin Eleanor Sharpston, die diese bereits im Dezember vorgetragen hatte. Demnach berührten die Regeln des Streitbeilegungsmechanismus bei Investitionen die nationale Gerichtsbarkeit. Ein Entziehen der gerichtlichen Zuständigkeit der Staaten könne aber nicht ohne deren Zustimmung erfolgen, erklärten die Richter. Es bestehe also eine "geteilte Zuständigkeit" zwischen nationaler und europäischer Ebene, die die Ausgestaltung des Handelsabkommens als "gemischtes Abkommen" nötig mache.

Das bedeutet allgemein: Sofern im EU-Vertrag wie beim Verhandlungsmandat, das die Mitgliedstaaten der Kommission erteilen, nicht ausdrücklich festgehalten ist, dass eine Materie in die Gemeinschaftskompetenz gehört, müssen nationale Parlamente mitentscheiden dürfen. Eine Zustimmung nur des EU-Parlaments, wie die Kommission es sich wünschte, reicht in diesem Fall nicht.

Es gibt aber auch keinen Automatismus, dass nationale Parlamente praktisch immer und in jedem Fall ein Mitentscheidungsrecht haben. Die Regierungen der betroffenen Staaten müssen dies explizit beantragen und gemeinsam beschließen.

Weitreichende Auswirkungen

Praktisch hat dies weitreichende Auswirkungen nicht nur auf zukünftige Abkommen, die die Kommission anstrebt: mit Japan, Mexiko oder den Mercosur-Staaten zum Beispiel. Auch Ceta, das Anfang des Jahres provisorisch in Kraft trat, kann nun ohne die Zustimmung von 28 nationalen und regionalen Parlamenten, wie der Wallonie in Belgien, nicht in vollem Umfang in Kraft treten. Das war zwar bereits so vereinbart.

Nach dem EuGH-Erkenntnis ist aber klar, dass eine Blockade durch das Parlament eines EU-Mitgliedsstaates in Luxemburg kaum mehr mit Erfolg angefochten werden könnte. Das bedeutet in der Praxis einen Dämpfer für die Bemühungen der EU-Kommission zu raschem Handeln, weil die Verfahren sich in die Länge ziehen könnten. Eine ganz spezielle Situation ergibt sich nun für Großbritannien, das 2019 aus der EU austreten will, im Anschluss daran aber ein sehr weitreichendes Handelsabkommen mit den EU-27 neu vereinbaren möchte. Dennoch zeigte sich ein Sprecher der EU-Kommission zufrieden. Präsident Jean-Claude Juncker habe das vorausgesehen und deshalb bei Ceta bereits von sich aus den Vorschlag gemacht, alle nationalen Parlamente in die Mitentscheidung zu nehmen. Nun herrsche rechtliche Klarheit.

In Österreich freuten sich vor allem die NGOs Attac, Greenpeace und Global 2000, die wie Grüne und FPÖ gegen EU-Freihandelsabkommen gekämpft hatten, über Schützenhilfe aus Luxemburg. Auch die Industriellenvereinigung zeigte sich zufrieden. (Thomas Mayer aus Straßburg, 17.5.2017)