Die nun entdeckte Bunkeranlage im Grazer Wohnbezirk Liebenau ist gut erhalten. Darin wurden noch Kriegsrelikte gefunden.

Foto: Possert

Graz – Es ist ein zeitgeschichtlich hochsensibles Areal, auf dem das Projekt des Murkraftwerkes realisiert wird. In unmittelbarem Umkreis befand sich – wie mehrmals berichtet – ein NS-Lager. Auf dem Gelände werden nach wie vor Massengräber vermutet, doch letzte Untersuchungen, die dies widerlegen oder bestätigen können, wurden bis heute von der Stadt nicht angeordnet.

Im Zuge der Vorarbeiten für das Kraftwerk, während Bauarbeiter Platz für eine Gasleitung geschaffen hatten, ist nun – "wenig überraschend", wie der Leiter der Archäologie im Bundesdenkmalamt, Bernhard Hebert, bemerkt – ein Bunker des ehemaligen NS-Lagers entdeckt worden.

Auf diesem Grundstück soll ein neues Jugendzentrum errichtet werden. Nun muss das Projekt umgeplant werden. Es sei jedenfalls ein "gut erhaltener Bunker", der in der NS-Zeit "für die Täter zum Schutz vor Luftangriffen angelegt worden ist. Die Lagerhäftlinge wurden ihrem Schicksal überlassen", sagt Hebert.

Im Bunker sind grafische Dokumente der Lagerzeit an den Wänden erhalten geblieben, gefunden wurden auch Reste von Kriegswaffen und Munition.

Die erst vor wenigen Tagen entdeckten Relikte müssten erst von den Archäologen, die die Bauarbeiten des Murkraftwerkes und nun auch die Errichtung des Jugendzentrums begleiten, ausgewertet werden, sagt Hebert im Gespräch mit dem Standard.

Jugendzentrum als Gedenkstätte

Fraglich ist nun, ob das Jugendzentrum auf dem Areal überhaupt gebaut werden kann. Hebert ist der Meinung, dass es mit einigen Umplanungen durchaus errichtet werden könne. Allerdings mit der Auflage, dass die historischen Baudokumente nicht beeinträchtigt werden – vielmehr soll sichergestellt werden, dass sie auch öffentlich als Stätte der Geschichte, des Gedenkens zugänglich bleiben.

"Ich denke, es wäre durchaus im Sinne der Jugendarbeit angebracht, hier einen Ort des Gedenkens und der Aufarbeitung der belasteten Geschichte dieses Lagers zu schaffen", schlägt Hebert vor.

Der Wissenschaftler schließt nicht aus, dass während der Bauarbeiten für das Kraftwerk weitere Reste des ehemaligen NS-Lagers entdeckt werden.

Es ist nach wie vor denkbar, dass in diesem ehemaligen NS-Lager im Wohnbezirk Liebenau womöglich in verfüllten Bombentrichtern und Gruben noch jüdische Opfer verscharrt sind. Rainer Possert, ein Allgemeinmediziner im Bezirk Liebenau, drängt die Rathauspolitiker seit Jahren, diese offenen Fragen zu klären.

Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx hatte 2013 erstmals das NS-Lager Liebenau wissenschaftlich dokumentiert. Den historischen Forschungen zufolge sind rund 7000 bis 8000 ungarische Juden gegen Kriegsende 1945 von Ungarn kommend hier in Graz inhaftiert worden, ehe sie in Todesmärschen nach Mauthausen getrieben wurden.

Leichen exhumiert

Viele von ihnen starben zuvor schon im Lager an Erschöpfung, Unterernährung oder Krankheit. Viele wurden massakriert, erschossen und vor Ort verscharrt. An die 60 Leichen wurden nach dem Krieg exhumiert.

"Natürlich", sagt der Archäologe vom Bundesdenkmalamt, Hebert, hätte man die ganze Aufarbeitung dieses Wohnviertels "auch anders machen können". Nun aber habe er den Eindruck, dass die archäologische Begleitung des Baues des Murkraftwerkes in den Planungen "eingetaktet" sei. Tatsächlich ist seit Wochen ein Team von Experten vor Ort, um etwaige Funde zu sichern und zu bewerten. (Walter Müller, 16.5.2017)