Das Mahnmal in Gallneukirchen erinnert auch an die "Mühlviertler Hasenjagd", bei der geflüchtete Lagerinsassen des KZ Mauthausen gejagt wurden.

In Gallneukirchen gibt es seit 2006 ein Mahnmal, das an zwei Ereignisse im Jahr 1945 erinnert. Zum einen die Verfolgung russischer KZ-Insassen, die aus dem Lager Mauthausen geflohen waren – die "Mühlviertler Hasenjagd" – , zum anderen an das Kriegsgefangenenlager der US-Armee, in dem tausende Soldaten interniert wurden – und schließlich in russische Kriegsgefangenschaft überführt wurden. Jedes Jahr findet – wie auch in der Gedenkstätte Mauthausen – in Gallneukirchen eine Befreiungsfeier statt. Alexandra Föderl-Schmid hielt heuer die Festrede.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich war am Holocaust-Gedenktag, am 23./24. April bei der zentralen Gedenkfeier in Yad Vashem. Dort wird der sechs Millionen ermordeter Juden gedacht, eine abstrakte, nicht vorstellbare Zahl. Aber sie wird konkret, wenn dann sechs Menschen aufstehen, die diese Zeit erlebt haben, ihre Geschichte erzählen und eine Flamme entzünden. Ein Mensch, eine Flamme symbolisiert eine Million ermordeter Menschen.

Von den Zeitzeugen hatten vier einen Bezug zu Österreich, zu Mauthausen und seinen Nebenlagern.

Wenn dann die Namen von Orten, die man kennt, vorgelesen werden, weil diese in Österreich, in Oberösterreich, im Mühlviertel liegen, dann wird man kleiner auf seinem Sitz. Wenn man diese Geschichten hört, man kann sich nicht wegducken, dem nicht entziehen. Geschichte wird konkret, vorstellbar und fassbar und rückt näher. Das ist meine Heimat, ich bin Mühlviertlerin. Wir alle tragen Geschichte mit uns herum, sie formt und prägt uns.

Aber es gibt immer weniger Zeitzeugen, die uns ihre Geschichte erzählen, aber diese Geschichten dürfen nicht vergessen werden. Deshalb braucht es Gedenkstätten wie Yad Vashem, die mit ihrer monumentalen Wucht beeindrucken, aber auch Mahnmale wie dieses und Stolpersteine, die daran erinnern, was war.

Mahmal für den Frieden

Dieses Mahnmal für den Frieden erinnert gleich an zwei ganz unterschiedliche, gleichermaßen schreckliche Ereignisse, die hier in der Aigner Halde geschahen und zwar in den letzten Wochen des Krieges.

Dass die Parole der SS, "Schießt sie ab wie die Hasen", wörtlich genommen wurde, auch hier an diesem Platz. Aber viele von den 419 sowjetischen Gefangenen, die am 2. Februar 1945 aus dem KZ Mauthausen den Ausbruch gewagt hatten, wurden erschlagen oder mit anderen Mitteln getötet. Ziel dieser Hetzjagd war es "niemand lebend ins Lager zurückzubringen". Das ist fast gelungen.

Nur wenige hatten den Mut, Menschen zu verstecken, ihnen zu essen und zu trinken zu geben. Nur elf, andere Quellen sprechen von 17, haben dieses Massaker überlebt.

"Aus Feigheit kein Erbarmen", diese Worte hatte der Pfarrer von Allerheiligen in diesen Tagen in seiner Pfarrchronik vermerkt. Als Mühlviertler Hasenjagd ging dieses Morden in die Geschichte ein und ist auch untrennbar mit diesem Landstrich verbunden.

Wenig später, an der gleichen Stelle hier auf dieser Wiese, wurden rund 15.000 Soldaten der Wehrmacht gefangen gehalten und an die Sowjets und in die Kriegsgefangenschaft ausgeliefert, die viele nicht überlebten.

Dabei war zu diesem Zeitpunkt der Krieg durch die "bedingungslose Kapitulation" schon beendet, aber noch kein Friedensvertrag geschlossen. Es war in dieser Zwischenphase, in einem geschichtlichen Vakuum, für das die Geschichtswissenschaft das sperrige Wort "Endphaseverbrechen" verwendet.

Das aber nur unzureichend beschreibt, das was sich etwa im Nachbarort Treffling zugetragen hat, auch in diesen letzten Tagen zwischen Krieg und Frieden.

Am 28. April 1945 wurden dort fünf Männer aus Peilstein erschossen, die eine Panzersperre entfernt hatten, um ihren Ort kampflos den Amerikanern zu übergeben, die sich nur noch wenig entfernt befanden. Diese fünf Männer – ein Maurer, ein Glaser, ein Kaufmann, ein Siebreifenerzeuger und der Gemeindesekretär – taten nichts anderes als Peilstein, das nur wenige Kilometer von meinem Heimatort Klaffer entfernt liegt, vor einer möglichen Zerstörung zu retten. "In Oberdonau wird gestanden und gekämpft. Wer zuwiderhandelt, verdient keine Milde", lautete die Urteilsbegründung.

Es wurde ein Exempel statuiert, auch sie waren Opfer wie die Menschen, denen hier an diesem Ort in Gallneukirchen gedacht wird. Und man kann nicht eine Opfergruppe gegen die andere ausspielen oder deren Leid vergleichen. Es waren Menschen, die mit ihrem Leben bezahlt haben.

Als die Männer aus Peilstein exekutiert wurden, waren die Amerikaner bereits in ihrem Ort. Sie gehören zu den Mutigen, die etwas getan haben.

Schmaler Grat zwischen Krieg und Frieden

Ich weiß nicht, ob ich zu den Mutigen gehören würde in einer solchen Situation. Theoretisch Ja, aber wenn es konkret wird? Zwischen Mut und Feigheit ist ein schmaler Grat. Genauso wie zwischen Krieg und Frieden. Zwischen Erinnern und Vergessen.

Und es sind mehr als alarmierende Warnsignale, wenn eine bewusst am 20. April präsentierte Studie von Sora und dem Historiker Oliver Rathkolb zeigt, dass 23 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher einen starken Führer wollen – einen der ohne Parlament und Wahlen regiert, immerhin 43 Prozent einen Starken Mann. Und diese Führer-Zustimmung ist binnen zehn Jahren um fast zehn Prozent gestiegen. Und waren 2007 noch 44 Prozent mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden, so sind es jetzt nur noch 32 Prozent.

Da fühlt man sich an die Aussage des mexikanischen Literaturnobelpreisträger Octavio Paz erinnert, der festgestellt hat: "Ich weiß nicht, ob die Geschichte sich wiederholt: Ich weiß nur, dass die Menschen sich wenig ändern."

Er könnte recht haben, denn besonders erschreckend ist, dass vor allem die unter 35-Jährigen besonders unkritisch mit dem Nationalsozialismus umgehen. Nur 27 Prozent sind der Ansicht, dass der Nationalsozialismus nur Schlechtes gebracht habe. Das ist die Generation, die nur Frieden in ihrer Lebenszeit kennengelernt hat, bei der aber offenbar auch der Geschichtsunterricht zu wenig verfangen hat.

Anstieg antisemitischer Vorfälle

Zahlen mit konkreten Vorfällen verknüpft der jährliche Antisemitismusbericht, der zeigt, dass die antisemitischen Vorfälle im Jahresvergleich auf 477 Fälle zugenommen haben – vor allem die so genannten Hassbotschaften. Es ist kein Wunder, dass der Bundeskanzler während seiner Israel-Reise Ende April, bei der ich dabei war, am häufigsten zu hören bekam, welch große Sorgen man sich mache, dass aus Antisemitismus wieder mehr werden könne. Das Nie Wieder! hallt wider.

Und wer meint, dass auch das nur abstrakte Zahlen sind, der sei an die Geschichten erinnert, die in den vergangenen Tagen bekannt geworden sind.

Da haben Studierende der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft AG am Juridicum in Wien in einer Chatgruppe Witzchen gemacht, über die Asche der Anne Frank über Menschen mit Down Syndrom, über Frauen.

Da gibt es ein Problem, daraus ergibt sich auch ein Bildungs- und Aufklärungsauftrag. Einer, den man aber nicht nur an die Schule delegieren darf. Denn jeder kennt solche Situationen, da werden Scherze gemacht, Pauschalisierungen abgegeben, Sündenböcke gesucht: Es sind dann nicht mehr die Juden, sondern die Ausländer, gegen die es dann geht. Das können die Flüchtlinge sein, aber auch die anderen EU-Bürger.

Dagegen kann jeder auftreten, am Stammtisch, an der Wursttheke, im Gemeinderat, bei Gesprächen im Kollegenkreis oder durch Postings in Onlineforen.

Karl Popper mahnte: Wir alle sind verantwortlich für das, was kommt.

So hat jeder eine Verantwortung, der er sich nicht entziehen soll. Und heutzutage braucht es viel weniger Mut, für etwas einzustehen und gegen etwas aufzustehen.

Es scheint aber notwendiger und dringender, wie die Entwicklungen ringsum zeigen. Dass Menschenrechte selbstverständlich geachtet werden, ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Auch nicht in Europa. Aus Angst werden Intoleranz, Radikalismus und Fremdenfeindlichkeit. Man braucht sich nur umzusehen in Europa, aber auch in Österreich. Jeder ist sich selbst der Nächste, auch in der EU, der Nationalismus nimmt zu. Die Freiheiten, die uns die EU beschert hat, sind ebenfalls keine Selbstverständlichkeit mehr. Genauso offene Grenzen. Und wer wie ich sieben Kilometer vom Eisernen Vorhang aufgewachsen ist, der weiß, was es bedeutet, wenn Grenzen dicht sind.

Zäsur 1989

1989 war eine Zäsur, das weiß man insbesondere in der Grenzregion Mühlviertel. Vieles schien möglich, sogar das "Ende der Geschichte" wurde vom US-Politikwissenschafter Francis Fukuyama ausgerufen. Welch ein Trugschluß!

Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt, dass eine stabile Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, dass die politische und wirtschaftliche Integration Europas nicht unumkehrbar ist, dass auch Frieden nicht selbstverständlich sondern eine historische Ausnahmeerscheinung ist.

Aber es gibt immer weniger Menschen, die vom Krieg, von den Schrecknissen des Nationalsozialismus und Holocaust erzählen können, die abstrakte Geschichte zu konkreten Geschichten machen. Deshalb braucht es "Orte der Wahrheit", wie es Johann Gottfried Herder genannt hat. Das sind Gräber, KZ-Gedenkstätten und Mahnmal wie diese – Erinnerung und Gedächtnisstützen für uns heute und Orte, die uns Mut schöpfen lassen sollten für die Zukunft. (Alexandra Föderl-Schmid, 14.5.2017)