Wien/Kiew – Es ist vollbracht, das Ding ist gelaufen, und das wäre normalerwiese eigentlich das Wichtigste. Denn der Sieger des Eurovision Song Contest, er ist meistens eher sekundär und von temporärer Zelebrität. Der Star ist der Wettbewerb. Das Gezeter, das verbale Hauen und Stechen im Dschungelcamp ist ja auch viel interessanter als die Wahl und Person des Dschungelkönigs.

Eurovision Song Contest

Doch dieses Jahr war es mal wieder anders: Mit Startnummer 11 betrat Salvador Sobral die Bühne in Kiew. Welpensanft sang er sein jazziges Amar Pelos Dois, rührend, außergewöhnlich, wundervoll. Herumschlenkernder Gaukler und Fantast, schuf Sobral einen Rückzugsmoment des Menschlichen im beinhart durchgetakteten Gewitter dieser Musikschlacht und ließ Kuschelbedürfnisse keimen.

Eurovision Song Contest

Vor und nach Sobral sah man die übliche Leistungsschau vollautomatisierter, abwaschbarer Sing- und Performancemaschinen. Das Triumvirat der gnadenlos gut gelaunten Moderatoren weckte Boy-Band-Assoziationen. Diversität, also Vielfalt, schaut anders aus. Der neben Sobral Diverseste der Kandidaten war wohl Isaiah aus Australien mit seiner karamellweichen, kraftvollen James-Blake-Stimme (Don't Come Easy, 9. Platz).

Mein Freund

Softes dominierte, der rockige ukrainische Beitrag (Time von O.Torvald, 24.) ragte felsengleich aus dem seichten Balladenmeer. Abwechslung boten auch die erwartbaren Ausflüge in sinnbefreite Gefilde (Yodel It! aus Rumänien, 7.), Francesco Gabbani gab mit seinem Song Occidentali`s Karma (6.) dem Affen Ironiezucker. Heimatverbundenes erklang (Origo vom ungarischen Roma Joci Pápai, 8.), und es gab natürlich auch so richtig heftigen Trash: Jacques Houdek mit My Friend (13.). Der kroatische Pavarotti inszenierte sich hier körper- und stimmgewaltig als Zerrissener zwischen Oper und Poprock, zwischen Anzug und Lederjacke.

Eurovision Song Contest

Was die Kostüme anbelangt, wurde man an ein Volkslied erinnert: Weiß, weiß, weiß sind alle ihre Kleider. Die Damen schafften hierbei locker den Styling-Spagat zwischen Brautkleid und Boudoir, zwischen Jungfrau und Jungmännerfantasie (etwa Kasia Moś aus Polen, 22.). Dass Weißrussland auf die Trend- bzw. Trentfarbe des Jahres setzten würde – erwartbar: NaviBand offerierte mit Story Of My Life (17.) nicht nur euphorische Romantik-Folklore, sondern auch ein porentief reines Weiß.

Womit wir bei Österreichwären. Auch Nathan Trent kletterte schneeweiß auf seinem Mondkipferl herum und bot mit Running On Air (16.) drei Minuten Unbeschwertheit und gute Laune. Trents Aufruf zum Luftjoggen auch unter beschwerenden Lebensumständen fügte sich in die Reihe der motivierenden Botschaften.

Eurovision Song Contest

Rat und Gefühlshaushaltshilfe für drei Minuten bot auch Jowst aus Norwegen (10.), der riet, sich den Moment zu grabschen. Wie ist nun all dies‘ Trallala in die Gravitas des Weltgefüges einzuordnen? Sobrals Gewinn ist ein Sieg der Poesie über Alltägliches, der Originalität über die Schablone, ein Sieg des Leisen.

Und: Europa ist ja ein recht heterogenes Gebilde. Ein bisschen Streben nach Glück hier, ein bisschen Fremdenhass dort, politische Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen, Austritte und Rücktritte. Als kurzfristiges Bindemittel tut der ESC Europa gut. 200 Millionen Menschen schauen zu und treten damit auf vorsichtige Weise in Verbindung. Man lernt: Es gibt den Anderen, und er ist eh nicht so viel anders. Er will ja auch nur ein bisschen kuscheln. (Stefan Ender, 15.5.2017)

ORF