Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn verspricht die Reverstaatlichung von Bahn und Post in Großbritannien.

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London – Die britische Labour-Party geht mit einem Strauß radikaler Vorschläge zur Wirtschafts- und Sozialpolitik in die kommende Unterhauswahl. Einem detaillierten Entwurf für das Parteiprogramm zufolge will die Arbeiterpartei die Wirtschaft mit einem Investitionsprogramm in Höhe von 250 Milliarden Pfund, umgerechnet 296 Milliarden Euro, ankurbeln.

Die privatisierten Eisenbahnen sowie die Royal Mail sollen nach und nach verstaatlicht werden, private Energie- und Wasserversorger bekämen Konkurrenz durch Unternehmen der öffentlichen Hand. Ein neu zu schaffendes Arbeitsministerium soll darüber wachen, dass die weit auseinanderklaffende Spanne zwischen Höchst- und Niedriggehältern in Unternehmen kleiner wird. Es handle sich um "moderne, in die Zukunft gerichtete Ideen", sagte der finanzpolitische Sprecher John McDonnell am Donnerstag.

Die größte Oppositionspartei wollte eigentlich erst nächste Woche ihre Ideen für die kommenden fünf Jahre präsentieren. Am Donnerstag sollten die Parteigremien dafür einen 43-seitigen Programmentwurf verabschieden. Das Papier fand jedoch schon am Mittwochabend seinen Weg in die Medien. Das sei zwar "nicht gerade ideal", räumte Wahlkampf-Koordinator Andrew Gwynne gegenüber der BBC ein. "Aber wenigstens ist Labour auf diese Weise in aller Munde."

Großer Rückstand zu Torys

Die Umfragen deuten darauf hin, dass die Partei und ihr Vorsitzender Jeremy Corbyn ein wenig Publizität nötig haben: Zwischen 26 und 30 Prozent der Briten würden sich vier Wochen vor der Wahl für Labour entscheiden, hingegen wollen 45 bis 48 Prozent für die Konservativen unter Premierministerin Theresa May votieren. Bei den Kommunalwahlen vergangene Woche gewannen die Torys – höchst ungewöhnlich für eine Regierungspartei – hunderte Mandate hinzu, Labour musste auch in bisherigen Hochburgen wie Middlesbrough empfindliche Niederlagen einstecken. Mit dem Wahlslogan "Für die Mehrheit, nicht nur für wenige" ("For the many, not the few)" knüpft Labour unter dem linken Parteichef an eine Parole des bei Wahlen dreimal erfolgreichen Ex-Premiers Tony Blair (1997–2007) an. Die Vorschläge zur Renationalisierung der vor mehr als 20 Jahren verstaatlichten Eisenbahnen waren auch schon im Wahlprogramm von Corbyns glücklosem Vorgänger Edward Miliband (2010–15) enthalten.

Verkehrsexperten weisen darauf hin, dass die lukrative Strecke zwischen London und der schottischen Hauptstadt Edinburgh zwischen zwei privaten Wettbewerbern schon einmal in öffentlicher Hand war und dabei Gewinn abwarf. Umfragen legen nahe, dass eine Rückführung der Eisenbahnen in Staatsbesitz populär wäre.

Leitzinsen unverändert

Gleiches gilt für die in den 1990er-Jahren privatisierten Strom-, Gas- und Wasserversorger. Die Blair-Regierung erlegte ihnen 1997 eine Sondersteuer in Milliardenhöhe auf, ließ die Eigentümerstruktur aber unangetastet. Mays Tory-Regierung hat sich im Wahlkampf einen Miliband-Vorschlag zu eigen gemacht und verspricht ein Einfrieren der Energiepreise. Hingegen plant Labour offenbar die Einrichtung regionaler Unternehmen in zentralstaatlicher oder kommunaler Hand. Das traditionsreiche, erst 2013 teilprivatisierte Postunternehmen Royal Mail soll wieder staatlich werden, was gemäß derzeitigem Börsenkurs rund 4,7 Milliarden Euro kosten würde.

Die extrem niedrigen Zinsen – die Bank of England ließ am Donnerstag den Leitzinssatz trotz steigender Inflation von 2,3 Prozent bei 0,25 Prozent – will sich Labour für eine Konjunkturspritze im klassischen keynesianischen Stil zunutze machen: Mit mehreren hundert Milliarden sollen neue Straßen und Eisenbahnstrecken sowie binnen weniger Jahre eine Million Sozialwohnungen gebaut werden. Erhebliche Finanzspritzen kämen auch Schulen, Krankenhäusern und Universitäten zugute. Die zusätzlichen Ausgaben will Labour durch eine Erhöhung der Unternehmenssteuern von derzeit 19 auf 26 Prozent finanzieren. Bezieher von Einkommen ab circa 95.000 Euro jährlich sollen höhere Steuern entrichten. Mehrwertsteuer und Pensionsversicherung sollen unverändert bleiben. (Sebastian Borger, 11.5.2017)