Auch Stromunternehmen ködern immer öfter immer mehr Kunden mit Applikationen, die vom Handy aus zu bedienen sind.

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Viel hätte nicht gefehlt, und die einstige Gelddruckmaschine RWE wäre unter der Last eines riesigen Schuldenbergs zusammengekracht. Energiewende, Atomausstieg und die wegen des Klimawandels in Verruf geratenen Kohlekraftwerke, von denen RWE besonders viele besitzt, zwangen den Stromriesen aus Essen wie viele andere Energieversorger in und außerhalb Deutschlands auch zu einem radikalen Umdenken.

Dieses Umdenken ist zwar spürbar, aber noch wenig greifbar. Weil die viele Jahre lang höchst einträgliche Art, mittels Produktion, Vertrieb und Verkauf von Strom Geld zu verdienen, im Digitalzeitalter immer weniger einbringt, sucht die Branche nach neuen, tragfähigen Geschäftsmodellen. Dabei geht es um neue Technologien, Vernetzung und Softwareentwicklung – eine Welt, die Außenstehenden wohl noch längere Zeit verschlossen bleibt.

Krawatten sind verpönt

Spürbar anders und damit greifbarer ist die Atmosphäre in den Kreativwerkstätten, die sich immer mehr Energieversorger leisten: Krawatten sind verpönt, der Umgang der Kreativlinge miteinander ist betont locker, der Altersschnitt auffallend niedrig.

Unternehmen wie Verbund, Salzburg AG und andere versuchen immer öfter, das Wissen auch von Branchenfremden anzuzapfen. Wenige Unternehmen der Strombranche nehmen das Thema aber so ernst und wichtig wie Innogy in Deutschland.

Werthaltigstes Energieunternehmen

Innogy ist der saubere Teil von RWE. Während die konventionelle Stromerzeugung aus Kohle- und Kernkraftwerken bei der Auftrennung des Konzerns gemeinsam mit dem Stromhandel in der RWE alt verblieben ist, wurden die klimafreundlichen erneuerbaren Energien zusammen mit dem Vertrieb und den Netzen von RWE abgespalten und im Herbst 2016 als Innogy an die Börse gebracht.

Mit einer Marktkapitalisierung von 18,8 Milliarden Euro ist Innogy nicht nur das werthaltigste Energieunternehmen im Aktienindex Dax, es betreibt auch eine der größten Kreativwerkstätten eines Energieunternehmens in Europa, wenn nicht sogar weltweit.

120 kreative Köpfe

Über 120 interne und externe Experten arbeiten im sogenannten Innovation-Hub von Innogy an Zukunftstechnologien und Geschäftsmodellen für die Welt von morgen. Dazu gehört etwa ein Digitalprojekt zur Identifizierung von Stromfressern im Haushalt.

Mit einer Handy-Applikation lassen sich beispielsweise verbrauchstypische Stromkurven einzelnen Elektrogeräten wie Waschmaschine, Geschirrspüler oder Kühlschrank zuordnen. Das wiederum hilft, Normabweichungen festzustellen, und es erlaubt die zeitnahe Behebung derselben.

"Es gibt keine Beschränkungen im Denken", sagte Nina Winter, Leiterin der operativen Steuerung des Innovation-Hub, bei einem Lokalaugenschein des STANDARD in Essen. "Wenn wir etwas tun, was den Vertrieb gefährden könnte, sagen wir: Versuchen wir's. Wenn es geht, macht es früher oder später jemand anders. Dann ist es besser, wir machen das."

Breitflächig vernetzt

Innogys Innovation-Hub ist mit Start-up-Zentren in Palo Alto, Tel Aviv, London und Berlin vernetzt. Leute mit guten Ideen werden ermutigt, sich selbstständig zu machen und ihre Projekt umzusetzen. Vom Innovation-Hub gibt es eine Anschubfinanzierung, man begleitet das Projekt in Form einer Beteiligung. Hebt das Projekt aus irgendeinem Grund nicht ab, gibt es ein Rückkehrrecht in den Hub. "Scheitern ist erwünscht", sagte Winter. Von 483 identifizierten Start-ups seien im Vorjahr 69 einer detaillierten Untersuchung unterzogen worden, zwölf seien am Schluss übriggeblieben. Heuer sollen es mehr werden.

RWE ist an Innogy noch mit 77 Prozent beteiligt. Die Anteile, die von RWE über die Kärntner Energieholding am Energieversorger Kelag gehalten werden, sind im Zuge der Aufspaltung von Innogy übernommen worden. (Günther Strobl aus Essen, 12.5.2017)