Ein Mann auf Eroberungskurs: In Volker Schlöndorffs "Rückkehr nach Montauk" schlüpft Stellan Skarsgård in die Rolle eines Schriftstellers, der immer noch seiner Jugendliebe nachhängt.

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Wien – Erinnerungen sind manchmal bloß Hirngespinste. Als Schriftsteller sollte Max Zorn das eigentlich wissen. Zorn bildet sich nämlich ein, dass er bei seiner Jugendliebe Rebecca (Nina Hoss) einen zweiten Anlauf riskieren könnte. Seit er sie einst brüsk zurückgelassen hat, hängt er ihr nach – diesem anderen Leben, das er nie geführt hat. Auf Lesereise in New York nützt er nun jede Gelegenheit, heimlich davonzupirschen. In dem kleinen Ort Montauk auf Long Island kommt es zum romantischen Showdown.

Volker Schlöndorffs Rückkehr nach Montauk hat trotz des Titels wenig mit Max Frischs Erinnerungsbuch gemeinsam. Colm Tóibíns Drehbuch nutzt ein paar Motive und Schauplätze, lötet die Fragmente aber geschmeidig zusammen. Neben Hoss agiert der Schwede Stellan Skarsgård als nostalgiegetriebener Verführer.

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STANDARD: In "Rückkehr nach Montauk" geht es um das Bereuen verpasster Gelegenheiten. Ist das ein Gefühl, mit dem Sie vertraut sind?

Skarsgård: Persönlich weniger, ich hänge der Vergangenheit nicht nach. Natürlich gibt es viele Dinge, die ich nicht hätte tun sollen! Aber es ist zu spät, das zu bereuen, man kann es ja nicht mehr ändern. Ich lebe in der Gegenwart.

STANDARD: Wie haben Sie dann Ihre Figur wahrgenommen? Halten Sie Max für sentimental, wenn er eine alte Liebe zurückgewinnen will?

Skarsgård: Er macht da einen großen Fehler! Allerdings habe ich einige Freunde, die auch Schriftsteller sind, und wenn ich meine Erinnerungen mit ihren vergleiche, sind sie immer komplett unterschiedlich. Das liegt wohl daran, dass sie aus der Vergangenheit eine Erzählung formen. Das macht Max auch, er erschafft eine Geschichte aus der Erinnerung. Als er bemerkt, dass Rebecca nicht die Rolle spielt, die für sie vorgesehen war, ist er schockiert. Das ist eine egozentrische Wahrnehmung, die etwas sehr Männliches hat.

STANDARD: Können Sie das noch ausführen?

Skarsgård: Frauen können einer solchen Sehnsucht natürlich auch nachgeben. Aber Max' Art und Weise, sie zu verwirklichen, ist eher männlich. Ich erkenne mich selbst darin zu einem Grad wieder, oder Volker Schlöndorff und Max Frisch. Oder Colm Tóibín. Es steckt eine seltsame Naivität in diesem Denken, dass die Welt so organisiert und strukturiert sein sollte, wie man darüber fantasiert. Wie man sie haben möchte. Das ist bei Frauen nicht so sehr der Fall.

STANDARD: Sehen Sie darin auch den fehlgeleiteten Liberalismus eines Intellektuellen?

Skarsgård: Ja, bestimmt. Max ist nicht dumm. Er weiß viel, aber wenn man einen Traum zu lange aufrechterhält, ihn anfüttert, dann wird es irrational und auch ein wenig gefährlich.

STANDARD: Ist er nicht ein wenig klischeehaft in diesem Tweedsakko, an dem er öfter herumzupft?

Skarsgård: Ja, das ist ein totales Klischee. Er meint, er sitze in etwas fest, das ihn nicht in das Paradies bringt, in dem er gern sein würde. Dann zieht er dieses seltsame Jackett an und nach einer Weile fühlt er sich wohl darin. Er fühlt sich richtig hip.

STANDARD: Sie haben Tóibín erwähnt, der das Drehbuch schrieb, das wiederum mit Max Frischs Buch nicht viel gemeinsam hat. Haben Sie es bei der Vorbereitung dennoch mitberücksichtigt?

Skarsgård: Nein, ich orientiere mich ganz am Drehbuch. Frisch hat sein Buch geschrieben, Tóibín sein Skript. Meine Aufgabe ist es, meine Version aus diesem Drehbuch zu erstellen. Ich bin nicht diese Art von Schauspieler, der die Vergangenheit seiner Figuren mitberücksichtigt, weil ich das eingrenzend finde. Dann muss man alles, was man tut, an diesen Fakten ausrichten. Die Freiheit, etwas Irrationales zu tun, was nicht geplant war, wird reduziert.

STANDARD: Schlöndorff hat mit wenig technischem Aufwand gedreht, ohne aufwendige Lichtsetzung. Ist das bei dieser Art intimem Drama besonders ertragreich?

Skarsgård: Ja und nein. Ich bin gewohnt mit Crews zu arbeiten, die aus 400 Leuten bestehen. Und es funktioniert genauso, denn vor der Kamera herrscht dieselbe Intimität. Was man durch diese Art Dreh jedoch erhält, ist Freiheit. Man muss keine vorgegebenen Punkte treffen, und man kann immer wieder an den Anfang der Szene zurückkehren. Dadurch lässt sich herausfinden, wie viele Variationen es gibt. Und wenn man am Anfang etwas falsch macht, dann kommt vielleicht am Ende etwas Interessantes heraus.

STANDARD: Wenn Sie von Kreation im Moment sprechen, denke ich gleich an Ihre Arbeit mit Lars von Trier, der stets Grenzen in Richtung Authentizität zu erweitern versucht. Hat Sie das stark geformt?

Skarsgård: Ganz bestimmt, ich bin ziemlich verwöhnt. Das Tolle an Lars ist, dass seine Drehbücher eigentlich sehr kontrolliert sind, man kann die Absichten sehen, aber er gleicht das mit roher Authentizität wieder aus. Das kommt etwa daher, dass er gar nicht probt, sondern gleich dreht, er gibt nicht einmal Positionen und Richtungen vor. Das hat mich verdorben – mit traditionelleren Regisseuren, die alles genau definieren, will ich eigentlich gar nicht mehr arbeiten. Das wird niemals diesen kostbaren Moment des richtigen Lebens einfangen können.

STANDARD: Sie haben auch mit David Fincher gedreht, der eher zu jenen gehört, die alles bis ins kleinste Detail vorplanen ...

Skarsgård: Ja, aber er ist auch an wahren Momenten interessiert, er braucht dafür eben 40 Takes. Es gibt keinen Schauspieler, dessen Technik so lange durchhält!

STANDARD: Sie wechseln erfolgreich zischen Hollywood und europäischem Autorenkino. Wie entscheiden Sie sich für ein Projekt?

Skarsgård: Das Problem bei den meisten Büchern ist, dass man sofort das Gefühl hat, man kennt sie. So voller Klischees. Das ist betrüblich, bis etwas Einzigartiges auftaucht. Dieses Projekt begann mit fünf Seiten Text ohne Dialogen. Aber es macht auch Spaß, einen Bösewicht zu spielen. Ich bin wirklich gut darin, bei etwas Vergnügen zu haben. Mir geht es weniger um ein Portfolio aus hochklassig künstlerischen Werken. Ich habe hundert Filme gedreht und habe immer noch Spaß dabei.

STANDARD: Sie habe vier Söhne, die auch erfolgreiche Schauspieler sind. Wie darf man sich gemeinsame Abendessen vorstellen?

Skarsgård: Da reden wir natürlich übers Schauspielern, aber mehr wie Klatschmäuler. Wie idiotisch ein Regisseur war, solche Sachen. Ganz banal. (Dominik Kamalzadeh, 12.5.2017)