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"Ich finde, es ist genug" – endlich, könnte man dem Satz von Reinhold Mitterlehner hinzufügen. Dass Mitterlehner als ÖVP-Chef hingeschmissen hat, ist nachvollziehbar. Er ist zu oft düpiert worden von den eigenen Parteifreunden, er hat sich vieles, zu vieles gefallen lassen. Dezidiert schloss er in diese Kritik den ORF, namentlich "ZiB 2"-Moderator Armin Wolf, ein.

Es war eine Brandrede, mit der er seinen vollständigen Rückzug aus der Politik begründete, denn er tritt konsequenterweise auch als Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Wissenschaft zurück. Der oft ausgleichend agierende und langmütig wirkende Mühlviertler ließ viel von dem Frust heraus, der sich in den vergangenen Monaten angesammelt hatte. Er war emotional und authentisch.

Regierung und Opposition

Mitterlehner nannte zwar weder Sebastian Kurz noch Wolfgang Sobotka, aber es war klar, wen er meinte, als er sagte: Man könne nicht Regierungsarbeit machen und gleichzeitig Opposition sein. Mit seiner direkten Attacke auf Kanzler Christian Kern, dem er Anfang der Woche Unfähigkeit vorgeworfen hatte, hat Sobotka in den Augen Mitterlehners den Bogen überspannt.

"Ich bin kein Platzhalter, bis jemand Zeitpunkt, Struktur und Konditionen festlegt." Das war auf "den präsumtiven Nachfolger" gemünzt, der schon längst als Wahlkämpfer durch die Lande tourt. Kurz hatte erst am Vortag erklärt, er wolle die ÖVP vorerst nicht übernehmen, denn der Parteivorsitz sei "nicht so attraktiv".

Mitterlehner hatte die Nase voll von seiner Rolle als Lückenbüßer, denn irgendjemand müsse die Arbeit machen und Entscheidungen treffen, so seine Begründung. Es brauche "keine verdeckten Strukturen" – auch das war ein Seitenhieb auf Kurz.

Schon einmal Rücktritt überlegt

Mitterlehner ist als Parteichef zu oft düpiert worden, er hat sich zu lange zu viel gefallen lassen. Als Innenminister ist ihm Wolfgang Sobotka schlicht vom damaligen niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll verordnet worden, der den Wechsel von Johanna Mikl-Leitner nach St. Pölten in der ihm eigenen Gutsherrenart just in der Hochphase des Präsidentschaftswahlkampfs verfügt hatte. Damals – vor rund einem Jahr – überlegte sich Mitterlehner einen Rückzug, machte dann aber doch weiter.

In seinen selbstbewussten Abgang verpackte er noch einen Weckruf an die Partei: Es könne nicht nur an ihm gelegen haben, sondern sei auch ein strukturelles Problem der ÖVP, wenn innerhalb von zehn Jahren nun der vierte Parteichef abtrete. Im Gegenzug dazu zollte er Kanzler Kern noch einmal Lob und verwies auf den Willen zur Zusammenarbeit, der beide verbunden habe. Diesen Eindruck hatte man auch im vergangenen Jahr gewonnen, seit Kern die Koalition als Regierungschef führt. Beide verbindet ein pragmatischer Zugang.

Kurz muss sich entscheiden

Mit seinem Schritt bringt Mitterlehner Kurz in Zugzwang, er muss sich nun deklarieren, was er will: Parteichef und Spitzenkandidat der ÖVP sein, eine eigene Bewegung gründen – oder er findet jemanden, der ihm die Parteigeschäfte führt und ihn als Aushängeschild der Partei auf Wählerfang gehen lässt. Aber ob sich angesichts der Zustandsbeschreibung der ÖVP, die Mitterlehner sehr präzise geliefert hat, jemand findet, wird sich in den nächsten Tagen klären.

Bundeskanzler Kern hat in seiner ersten Erklärung explizit Kurz eine Reformpartnerschaft angeboten – und zwar für ein Jahr bis zum regulären Wahltermin. Damit setzt er zusätzlich Kurz unter Druck, der nun auch die Entscheidung treffen muss, ob er die Koalition aufkündigt und sich offiziell in den Wahlkampf begibt. So oder so: Kurz muss sich deklarieren.

Mitterlehner hat in den vergangenen Wochen an Statur gewonnen und hat sich mit der Art und Begründung seines Rückzugs Respekt verdient. (Alexandra Föderl-Schmid, 10.5.2017)