Keine Weltenfresser: Das Serapions Ensemble im Odeon-Theater sucht nach der Erkenntnis menschlichen Daseins.

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Wien – Herzensbildung ist einer der großen Begriffe der deutschen Klassik. Nicht nur Geist und Verstand, sondern auch Gefühle und Empfindungen müssen demnach erst durch Erziehung herausgebildet werden. Das Serapions Ensemble nähert sich der Herzensangelegenheit mit einer Liebesgeschichte an: Der Mann begegnet in der lärmenden Stadt einer Frau, doch ihre gemeinsame Zeit ist noch nicht gekommen. Zuerst müssen sich die Liebenden noch der Grausamkeit und Gier um sich herum, aber vor allem sich selbst und ihrer Gefühlswelt stellen.

Rebellion feierte am Freitag im Odeon-Theater Premiere. Das Stück, zugleich der zweite Teil der Fidèles d'amour-Trilogie, widmet sich dieser Form der Herzensbildung. Was sich vage anhört, ist es auch. Denn die Inszenierung bietet großen Interpretationsspielraum, vor allem in ihren Details: Texte von Philosophen, Dichtern und Wissenschaftern sind wie eine Collage aneinandergereiht.

Die Handlung ist von einer Erzählung des iranischen Philosophen Schihab ad-Din Yahya Suhrawardi aus dem 12. Jahrhundert inspiriert, in der sich ein Mann auf die Suche nach Erkenntnis macht. Das Ensemble ergänzt diese Geschichte mit einer zweiten, weiblichen Hauptfigur.

Während die Frau sich vor Schmerzen am Boden windet und sich in sich selbst zurückzieht, wandert der Mann voller Sehnsucht weiter in der nächtlichen Stadtkulisse umher und stellt sich in dieser poetischen Inszenierung ihren Gestalten. "Mach, dass der Schmerz aufhört", ruft die Frau verzweifelt, doch helfen können beide nur sich selbst.

Magische Stimmung

Erwin Piplits und sein Ensemble inszenieren mit großartiger Bildästhetik und kraftvollen Choreografien. Die Ensemblemitglieder tanzen dieselben Schritte, aber doch nie ganz synchron, jeder behält seine Individualität in der Choreografie – das macht das Zusehen spannend. Bühnenbild, Musik und Kostüme aus Ulrike Kaufmanns Beständen ergeben in der Kombination eine beinahe magische Bühnenstimmung.

Besonders eindrucksvoll: Eine Kugel, vielleicht ein Planet oder sogar die Erde, ist in einer der Szenen an einem Seil an der Decke befestigt, die Darsteller scheinen mit ihr durch den Raum zu schweben. Später saust dieselbe Kugel nur zentimeterweit entfernt an ihren Köpfen vorbei, scheinbar zufällig verfehlt sie die Schauspieler. Angehaltener Atem, erleichtertes Gelächter und spontaner Applaus. Am Ende wieder großer Applaus, diesmal im Stehen. (Eva Walisch, 8.5.2017)